Intro zu unserer virtuellen Ausstellung
„Kolonialismus und Figurentheater. Die Fäden entwirren.“

Im Rahmen des vom Theater Lübeck initiierten Projekts „Transition/Tage. Kolonialismus begreifen. Kolonialismus überwinden?“ nahmen wir gemeinsam mit Dr. Katharina Kost-Tolmein und Carsten Jenß (Theater Lübeck), Dr. Lars Frühsorge und Michael Schütte (Völkerkundesammlung Lübeck) erste postkoloniale (Denk)Schritte in einem gemeinsamen „Traumpfad“ vor.

 

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Finden Sie im ersten Raum unserer virtuellen Ausstellung heraus, was es bedeutet, Dinge aus ihren ursprünglichen Kontexten herauszulösen.

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Was sagt das Bezeichnen von Dingen über unser Verhältnis zu eben diesen aus? Wer spricht über sie? Im zweiten audiovisuellen Raum der Ausstellung versuchen wir die Stimmen zu entschlüsseln.

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Im dritten Raum setzen wir uns kritisch mit unserer bisherigen Ausstellungspraxis auseinander. Was macht das Ausstellen mit den Dingen?

INTRO

Dass dieser Traum einer “Dekolonisierung” von höchster Brisanz ist, beweist die aktuelle Situation in den USA

Obwohl die politischen Kämpfe gegen Rassismus und Apartheid in den 60er Jahren ausgefochten schienen, zeigt sich nun, dass Kolonialismen und rassistische Denkmuster nur an der Oberfläche verschwunden waren; sie sind weiterhin tief in den Gesellschaften verankert. Wenn wir diese Gespenster jemals loswerden wollen, bedeutet es, dass sich jedes Individuum, jede Institution selbst ehrlich daraufhin befragen muss: inwieweit tradieren und zementieren wir mit unseren gewohnten Handlungsmustern, Vorgehensweisen und Überzeugungen koloniale Denkmuster? Wie tief trauen wir uns danach zu graben? Haben wir den Mut, auch wenn diese Fragen an die Fundamente unserer Institutionen rühren?

Inspiriert von dem oben erwähnten interdisziplinären Gedankenaustausch ist die Idee eines virtuellen Ausstellungsprojekts entstanden. Das Projekt „Kolonialismus und Figurentheater. Die Fäden entwirren“ versucht postkoloniale Zusammenhänge sichtbar zu machen und wird sich zunächst entlang zweier Themenkomplexe entwickeln. Im ersten Teil der virtuellen Ausstellung reflektieren wir die eigene Institutionsgeschichte und Museumspraxis. Im zweiten Teil nehmen wir eine transkulturelle Neuverortung einzelner ‚Theaterfiguren’ vor – und versuchen somit die Perspektive zu wechseln.

Kolonialismus und Figurentheater

Institutionsgeschichte und Museumspraxis: wie haben wir mit unserer Sammlung bisher gearbeitet?

Unterschiede oder Gemeinsamkeiten?

KOLK 17 Figurentheater & Museum, Lübeck versammelt ca. 20.000 heterogene Artefakte aus Europa, Asien und Afrika unter dem vereinheitlichenden Begriff ‚Figurentheater’. Sie stammen aus den verschiedensten Zusammenhängen, d.h. sie unterscheiden sich in Bau- und Verwendungsart, durch die Orte, aus denen sie kommen, sowie durch die Zeit, aus der sie stammen. Die einfachste Definition von Figurentheater, wie wir sie basierend auf unserem westeuropäischen Verständnis formulieren, lautet: „Räumlich und zeitlich begrenzt animieren SpielerInnen vor Publikum unbelebte Objekte.“ Ist diese Definition aber tatsächlich für unsere ganze Sammlung anwendbar? Die meisten unserer europäischen Artefakte sind in diesem Sinne tatsächlich historische Theaterfiguren; bei außereuropäischen Figuren müssen wir davon ausgehen, dass wir so nur einen Teil dessen erfassen, was die Figuren selbst in den Vorstellungen ihrer kulturellen Herkunftsgemeinschaften bedeuteten und was sie im Moment der flüchtigen Aufführung an Bedeutungen produzierten.   

Theaterfiguren ohne Theater

Diese Unterscheidung leuchtet zunächst ein. Tatsächlich liegt jedoch bei allen Unterschieden gerade das Gemeinsame aller Figuren darin, dass sie stets als Versatzstücke von immaterieller Kultur gesehen werden müssen. Die Kunst des Figurentheaterspiels ist eine performative – sie geschieht in der Zeit, im Moment. Die obige Definition klingt trocken, sie versucht Figurentheater sachlich als rationalen Vorgang zu beschreiben, wie wir es von einer wissenschaftlichen Definition erwarten. Dennoch werden sowohl SpielerInnen als auch Publikum überall auf der Welt immer darauf bestehen, dass im Aufführungsmoment etwas geschieht, das außerhalb einer solchen dürren Vorgangsbeschreibung liegt. Wissenschaftlich versuchen wir dieses Etwas mit Begriffen wie „Theatralität“ oder „Performativität“ zu greifen. Das Publikum und die SpielerInnen sprechen aber viel eher von der „Spannung“, dem „Gefühl des Gebanntseins“, der „Verzauberung“, dem „magischen Moment“ sogar.

 

 

Fällt eine Theaterfigur also aus dem Moment der Aufführung heraus – weil das Stück beendet ist, weil sie kaputt oder verloren gegangen ist, oder verkauft wurde – so verlässt sie den Bereich des Performativen und wird hilflos, wie ein Fisch an Land. Sie verliert all jene Bedeutungen, die im Moment der Aufführung produziert wurden. Den Bedeutungsverlust können wir uns wie konzentrische Kreise um unser Objekt vorstellen: zunächst wird es von den SpielerInnen getrennt, dann von der Aufführungssituation, dann vom Ort der Aufführung, vom kulturellen Kreis derjenigen, die die jeweilige Figurentheatertradition verstehen, von der weiteren Region, vom Land, vom Kontinent. Und mit jedem Kreis geht eine weitere Bedeutungsschicht verloren. Verlässt eine Figur ihre kulturellen Zusammenhänge, so verliert sie die in den jeweiligen Herkunftsgesellschaften verankerten eigenen Bedeutungen.

 

 

Der Kontextverlust unserer Sammlungsobjekte ist sehr unterschiedlich: bei einigen wissen wir nicht, woher sie kommen, wie sie gespielt wurden, was mit ihnen gespielt wurde. Bei anderen kennen wir Ort und Zeit der Entstehung, die Stücke, die SpielerInnen. Einen Verlust aber haben alle unsere Objekte erlitten: den des Performativen. Sie werden nicht mehr gespielt.

 

 

Das Ding in der Vitrine

Das gewisse Etwas des Theatermoments ist nicht aufzuspüren, indem man Figurentheater in seine Einzelteile zerlegt, in Spieltechnik, Figuren, Bühnenbilder, Stücktexte. Es liegt dazwischen und bleibt flüchtig, an den Moment der Aufführung gebunden – daher immateriell. Alle Versuche, darüber zu forschen und zu schreiben, müssen notwendigerweise Annäherungen bleiben.

 

 

Vieles an Kultur ist immateriell. Das Museum als Institution musste immer schon versuchen, diese Lücke zu überwinden, indem es sich auf Objekte konzentriert hat, mehr noch, indem es alles notwendigerweise zu Objekten gemacht hat. Ein gutes Sinnbild für diesen Vorgang der Objektifizierung finden wir in der Vitrine. Sie steht (immer noch) im Kern unserer Vorstellung vom Museum: „Museum = (tote) Objekte in Vitrinen“. Dazu gehört das Objektschild. Es zeugt von der Idee einer eindeutigen Identifizierung und Zuordnung im Sinne (natur)wissenschaftlicher Klassifikationen. Auf ihm ist die eindeutige Einordnung des Objekts vermerkt.

 

 

Die Vitrine erlaubt es zwar, schützenswerte Objekte auszustellen, sie steht für die Ordnung und Bezeichnung der Objekte. Zugleich objektifiziert sie jedoch selbst alles, was in ihr präsentiert wird: es ist reduziert auf den materiellen Zustand, in dem es sich befindet, häufig vereinzelt und in jedem Fall unbewegt, losgelöst aus seinen ursprünglichen Zusammenhängen.

 

 

Dabei erschöpft sich kaum ein Ding auf der Welt allein in seiner Dinglichkeit! Viele mögen über ihre Materialität trotz allem zu faszinieren. Aber gerade bei Theaterfiguren, diesen Teilen eines größeren, performativen Ganzen, ist der Verlust, der durch den Transfer ins Museum und in Vitrinen geschieht, immens. Sie sind – noch weniger als Objekte der Bildenden Kunst – nicht zur stummen oder andächtigen Betrachtung gemacht, sondern sie entwickeln ihre Bedeutung in der Bewegung, der Animation, begleitet häufig von Text und Musik.

 

 

Was heißt hier Kolonialismus?

Vor diesem allgemeinen Hintergrund stellt sich die Frage, was passiert, wenn Figuren außereuropäischer Provenienz, bei denen oftmals kaum Wissen über Gebrauch und Bedeutung im Ursprungskontext vorhanden ist und die sich nicht immer in das abendländische Schema der Subjekt-Objekt-Dichotomie einordnen lassen, nun in ein Museum in Europa transferiert werden? Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass Kolonialherrschaften sowie die christliche Mission wesentlich dazu beigetragen haben, dass identitätsstiftende Praktiken, in denen z.B. auch Figuren eine Rolle spielten, unterbunden, ja zerstört wurden. Zugleich wurde vieles zu diesen Praktiken Gehörende geraubt und in europäischen Museen zur Schau gestellt. Objekte aus kolonialen Kontexten zeugen also von Enteignung auf doppelter Ebene, was wiederum ihren Bedeutungsverlust noch schwerwiegender macht. Das ist aber noch nicht alles.

 

 

Was genau bedeutet Kolonialismus im Figurentheater?

Das Prinzip der Kolonialität ist, laut Leitfaden des Deutschen Museumsbundes, nicht mit der formalen und realen Herrschaftspraxis des Kolonialismus gleichzusetzen. Auch wenn sich also keine Figuren z.B. aus den deutschen Kolonialgebieten im 19. Jahrhundert in unserer Sammlung befinden, so bedeutet es nicht, dass Provenienzforschung und die Aufarbeitung kolonialer Ideologien für unsere Arbeit keine Rolle spielten, im Gegenteil. Unter „kolonial“ wird im Leitfaden des DMB nicht nur die reale Herrschaftspraxis verstanden, sondern auch die sie umgebenden „Ideologien, Diskurse (auch Rassendiskurse), Wissensordnungen, Ästhetiken und Perspektiven“(Quelle: DMB 2019: 21).

 

 

Was heißt das für eine Ausstellung?

Hier kommt unsere gängige Museumspraxis ins Spiel, denn die Wissensordnung, die durch Vitrinen und Objektschilder verkörpert wird, ist nicht neutral. Sie ist von unseren westeuropäischen Vorstellungen geprägt, wie Wissen organisiert werden sollte, und was es wert ist, als Wissen vermittelt zu werden. Daran zu rütteln, bedeutet für die Institution des Museums, den Anspruch aufzugeben, automatisch am besten über die eigene Sammlung Bescheid zu wissen – ein ungeheuer großer Schritt! Und dennoch wichtig. Die Auflösung der Vitrine allein hilft allerdings nicht. Denn auch in den ganz modernen Museen mit sogenannten „inszenierten Räumen“ wird eine häufig genug exotisierende Authentizität suggeriert, die die Figuren als das „faszinierende Andere“ präsentiert. Koloniale Denkmuster sitzen ganz tief.

 

 

In unsere Figuren haben sich besonders häufig rassistische Diskurse bildlich eingegraben. Das sind oft europäische Theaterfiguren, zu deren Personal neben Märchenfiguren und Geistern regelmäßig „exotische Fremde“ gehörten. Mit diesem tief in die Figuren eingeschriebenen Rassismen umzugehen und zugleich den Kontextverlust aller performativen Figuren angemessen zu thematisieren, ist die große Herausforderung unseres Museums. Die Lösung wird in jedem Fall eine Öffnung der Institution bedeuten und das Zulassen anderer Sichtweisen als der tradierten.

 

 

In drei Etappen möchten wir den Wandel einer Figur zum Museumsobjekt nachzeichnen.

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  Wissens(Ein)Speicherungen © Anna Pfau  An keinem anderen Ort wird die Transformation von Artefakt zu Museumsobjekt so wahrnehmbar wie in den Depots der Museen. Abgetrennt von ihrer ursprünglichen Funktion und Bedeutung, zusammengetragen aus den unterschiedlichsten...

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Willkommen im nächsten Raum unserer virtuellen Ausstellung Kolonialismus und Figurentheater. Kolonialismus und Figurentheater. Die Fäden entwirren.     Fragmente von Performativität? © Anna Pfau „[Die Museen] betrachten [die Objekte] als [ihren] Schatz. Ich höre...

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Impressum

Kolonialismus und Figurentheater – Die Fäden entwirren

Eine virtuelle Ausstellung des

KOLK 17 Figurentheater & Museum, Lübeck

Idee und Konzept: Antonia Napp, Sonja Riehn

inspiriert durch den interdisziplinären Gedankenaustausch im Rahmen des Projekts „Transition/Tage. Kolonialismus begreifen, Kolonialismus überwinden?“ des Theater Lübeck.

Text ZEIGEN: Antonia Napp

Grafik: Anna Pfau

Umsetzung und Social Media: Charlotta Paetow

Pressekontakt: info@theaterfigurenmuseum.de