Objekt der Woche: Der Clown aus dem Kriegsgefangenenlager

Unser heutiges Objekt der Woche hat wieder eine ganz besondere Geschichte: der Mann in elegantem Frack und gestreiften Hosen ist als Clown geschminkt. Trotz der “Schminke” kann man sehen, dass der Kopf sehr ausdrucksvoll und gut proportioniert geschnitzt ist; ebenso die Hände.

Der Clown, Marionette von Ernst Hummel, gespielt von Walter Büttner, Aliceville ca. 1944 

Es ist eine der Marionetten, die aus dem Besitz von Walter Büttner, dem Heidekasper, zu uns in die Sammlung kamen. Büttner (geb. 1907) ist eigentlich bekannt als Handpuppenspieler, der das alte Jahrmarktskasperspiel noch von seinem Vater lernte und bis 1990 in Maschen in seinem Kasperhaus großes und kleines Publikum mit seinen Stücken verzauberte. 

Die Marionette des Clowns stammt aus Büttners Zeit als Kriegsgefangener im Camp Aliceville in Alabama (USA). Unter den Nationalsozialisten hatte Büttner aufgrund seiner Kontakte zu den “Roten Falken” zunächst Berufsverbot erhalten und war dann zu Zwangsarbeit verurteilt worden. 1940 wurde er zur Marineinfanterie eingezogen (vgl. Technau 1997, S. 144) und geriet 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft.  

Atelier in Aliceville, Fotografie, 1944 

Das Camp Aliceville wurde sehr großzügig geführt, und die Gefangenen hatte alle Möglichkeiten, sich künstlerisch zu betätigen. Es gab ein Orchester, einen Autorenzirkel, ein Theater, eine Zeitung und ein Puppentheater. Die Figuren für diese Aufführungen entwarf vor allem der Künstler Ernst Hummel; aber an unserer Marionette ist auch das unglaublich sorgfältig gearbeitete Kostüm bemerkenswert - in der Puppentheatertruppe machte nämlich auch ein Schneidergeselle mit! Büttner bezeichnete die Zeit in Aliceville später immer als seine eigentliche künstlerische Schule; so sehr hatte ihn der enge kreative Austausch mit den dortigen Künstlern, Musikern, Schauspielerin und Autoren geprägt. Viele der Stücke spielte er mit Handpuppen; auch von diesen haben wir einige eindrucksvolle Exemplare in der Sammlung. In welchem Stück genau die Marionette gespielt wurde, ist nicht überliefert. Die Tagebücher von Büttner und Hummel geben dennoch einen Eindruck wieder. Bis 1945 spielten sie 15 Vorstellungen vor 2300 Besuchern. 

Nach Kriegsende wurde das Lager umorganisiert; nach der Entdeckung der Konzentrationslager wurde die Lagerführung restriktiver und die Gefangenen zu harten Arbeiten wie Holzfällerei herangezogen. 1945 wurden die Handpuppen und Marionetten verpackt und über das Rote Kreuz nach Genf geschickt; von dort erhielt sie Walter Büttner 1947 wieder. 

Weiterführende Literatur: 

Frontpuppentheater. Puppenspieler im Kriegsgeschehen, hg. Dorothea Kolland und Puppentheater-Museum Berlin, Ausstellungskatalog, Berlin 1997 

Büttner, Walter: Das Bühnenporträt - Der Heidekasper. In: Information, hg. Verband deutsche Puppentheater e.V., Wuppertal 1976, S. 29-31 

Hummel, Ernst: Chronik des Puppentheaters in Aliceville. Mit Nachträgen bis 1952, Originalmanuskript in der Puppentheatersammlung München 

Kipsch, Walter: Walter Büttner. In: Meister des Puppenspiels, H.36, Bochum o.J. 

Technau, Silke: Nachrichten vom Berufspuppenspiel in Schlesien (1900-1944). In: Bärbel Rudin: Funde und Befunde zur schlesischen Theatergeschichte. Dortmund 1983, S. 268-322 

Technau, Silke: Zu Besuch in der Kasperbude. Streifzüge über den Jahrmarkt in das Figurentheater. Frankfurt a.M. 1992 

Technau, Silke: “To Wihnachten sinn wi wedder dohus! Puppentheater im Kriegsgefangenenlager Aliceville/Alabama, in: Frontpuppentheater. Puppenspieler im Kriegsgeschehen, hg. Dorothea Kolland und Puppentheater-Museum Berlin, Ausstellungskatalog, Berlin 1997, S. 142-151