Zeit des Erinnerns – der Kasper als Rekrut
Der Kasper – die Lustige Figur – ist unverzichtbarer Bestandteil jedes Handpuppensatzes. Dieser Kasper grinst und hat eine lange Nase und doch: hätten Sie ihn als Kasper erkannt? Falls nicht, liegt es vielleicht daran, dass er das Schiffchen der Rekruten trägt; dieser Kasper ist nämlich beim Militär. Warum? Mit diesem Figurenkopf beginnen wir eine kleine Reihe auf unserem Blog, die sich dem Figurentheater im Nationalsozialismus widmet. Der Kasper mit dem Schiffchen ist ein Charakter aus einem Handpuppensatz, der 1940 für das Reichsinstitut für Puppenspiel entworfen wurde. Diese Institution, gegründet 1938, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Handpuppenspiel strategisch für politische Propaganda einzusetzen. Einmal sollten die Berufspuppenspieler einheitlich geschult werden, besonders in „weltanschaulichen“ Fragen, d.h. in der nationalsozialistischen Ideologie. Außerdem sollte das Laienpuppenspiel besonders in der Hitlerjugend und im Bund deutscher Mädel etabliert werden. Kaspers Bratpfanne sollte die Naziideologie in die Köppe hämmern, sozusagen.
Die künstlerische Qualität unseres Kasperkopfes ist unbestreitbar und erinnert uns daran, dass das Reichsinstitut – sehr geschickt – einen bedeutenden Marionettenspieler und Figurengestalter, Professor Harro Siegel, für den Entwurf der Figuren gewann. Er entwarf einen Figurensatz mit klassischen Charakteren (u.a. Kasper, Räuber, Großmutter) sowie die antisemitisch verzerrte Darstellung eines Juden. Die karikierten Köpfe von Chamberlain und Churchill basierten auf Entwürfen von Karl Fritz Riedel. Die Figuren konnten in Holz oder in Labolit (einem Kunststoff) bestellt werden; außerdem konnte man sogenannte „politische Zwischenspiele“ kaufen, also Stücktexte mit politisch-tendenziösem Inhalt. Für diese Stücke wurden weitere Figurentypen geschaffen wie z.B. der Meckerer, der Spießbürger oder der Engländer mit Tropenhelm. Wer sich den gesamten Satz anschauen möchte, kann dies in der Online Collection der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden tun (https://skd-online-collection.skd.museum/Home/Index?page=3&dVon=1940&pId=11083059).
Ob diese angedachte Strategie der Instrumentalisierung des Handpuppenspiels wirklich umgesetzt wurde, ist unklar. Der Krieg machte den großen Plan des Reichsinstituts zunichte; ab 1944 wurde die Produktion der Figuren eingestellt.
Wie Figurenspieler:innen überhaupt während des Nationalsozialismus gelebt und gearbeitet haben, warum Figurenspiel an allen Kriegsfronten stattfand, diesen Fragen gehen wir in unseren nächsten Beiträgen der Reihe Zeit des Erinnerns nach.
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