Rückblick: Who’s Talking? Sechs künstlerische Blicke auf die Sammlung KOLK 17

Unsere virtuelle Ausstellung Who’s Talking? läuft nun schon einen Monat. Höchste Zeit für einen Rückblick!

Am 30. Juli war es endlich soweit – was wir seit Februar in vielen, vor allem virtuellen Sitzungen konzipiert hatten, was im April, Mai und Juni dann in unserem Depot umgesetzt wurde – das konnten wir endlich der Öffentlichkeit vorstellen: unser Ausstellungs- und Forschungsprojekt Who’s Talking! Um 16 Uhr wagten wir das Experiment unserer ersten virtuellen Ausstellungseröffnung und trafen uns online mit fünf unserer teilnehmenden Künstler:innen und über sechzig Gästen. Shasha Li, die Figurenspielerin und Künstlerin aus China nahm von Beijing aus teil; Yacouba Magassouba – Leiter der Theatercompagnie NAMA aus Mali – befand sich in Bamako. Auch viele unserer Gäste schalteten sich aus der ganzen Welt zu, während das Team von KOLK 17 durch die Eröffnung führte.

Wenn darstellende Künstler:innen und aktive Figurenspieler:innen in ein Museumsdepot kommen, dann stoßen Welten zusammen: viele Menschen, heftige (womöglich: unkontrollierte!) Bewegungen, Berührungen, Spiel, Gesang, Tanz – all das widerspricht den Depotregeln eines Museums zutiefst. Hier werden die Objekte normalerweise so wenig wie möglich berührt und wenn, dann nur mit Handschuhen. Bewegt werden die Objekte nur langsam und gezielt, immer über einer Unterlage, damit nur ja nichts herunterfallen kann. Geatmet, gesprochen und geschwitzt sollte in einem Depot möglichst nicht werden – das könnte das kontrollierte Klima im Depot ungünstig verändern und in der Folge den Objekten schaden! Depotlagerung bedeutet vor allem Stilllegung – und das ist der genaue Gegensatz zu Performance.

Çağlar Yiğitoğulları und Rasmus Rienecker filmen im Depot © KOLK 17 2021

Aber was ist eigentlich hier hinter den Kulissen passiert? Çağlar Yiğitoğulları setzt sich explizit mit der Frage von Macht und Herrschaft auseinander – in seiner Arbeit sind die Figuren der Sammlung von einem Diktator unterjocht (= gesammelt!), der sich jedoch heimlich ins Depot schleicht und um Verzeihung bittet. Ein starkes Bild für die Fragen, denen sich Museen gerade stellen müssen.

Caroline Nkwe, Steve Thomas und Jessica Nupen bei den Dreharbeiten © KOLK 17 2021

Jessica Nupen hat mit ihrem Team im Depot getanzt und gesungen, Kisten geöffnet, Folien und Seidenpapier durcheinander gewirbelt und auch sonst die prekäre Ordnung, in der sich Depots im allgemeinen befinden, auf den Kopf gestellt. Die Absurdität westlicher Ordnungsprinzipien und Zuschreibungen im Hinblick auf nicht-europäische Artefakte wird sicht- und vor allem hörbar. In ihrem kurzen Beitrag zur Ausstellungseröffnung erörterte Jessica Nupen den Begriff der Perspektive, der ihre Arbeiten sehr persönlich prägt. Irina Deminas Auseinandersetzung mit unserer Sammlung ist eine vielschichtige künstlerische Erforschung der indischen Schattenfigur des Affenkönigs Hanuman.

Irina Demina bei der Arbeit an ihrem Film Avatar © KOLK 17 2021

In ihrer Vorstellung zur Ausstellungseröffnung gelang Irina eine wunderbare improvisierte kleine Sprachperformance zum Begriff der (Un)Ordnung. Shasha Li, die sich vor Ort in Chaozhou mit der Theaterform des Eisenstabfigurentheaters beschäftigt und einen spannenden, quasi dokumentarischen Film darüber gedreht hatte, betitelte ihren Beitrag “folk art is a sunken ship in the abyss of forgetfulness, full of unknown treasures.” Dieser Abgrund des Vergessens, in dem so viele Wissensschätze entdeckt werden können – das ist auch unsere Sammlung; vielleicht sind es alle Sammlungen.

Eisenstabfigurentheater heute in der Region Chaozhou © KOLK 17 2021

Yacouba Magassouba, dessen Input um den Begriff des Wissens kreiste, stellte noch einmal sein Projekt vor; ein Theaterstück, das von der Herstellung der Figuren bis zur Aufführung dokumentiert wurde und inhaltlich von in unserer Sammlung befindlichen malischen Figuren und unseren Wissenslücken ausging.

Bei der Produktion von La fête au village in Bamako © KOLK 17 2021

Momo Ekissi hatte für seine Inszenierung des “Treffens der Ahnen” unser Depot in einen Dorfplatz verwandelt. Die Aufführung für ein Pandemie-bedingt kleines Publikum wurde aufgezeichnet. Auch hier standen ein Wissensaustausch und der Dialog zwischen Institution und Akteuren im Vordergrund.

Momo Ekissi bei der Arbeit an einer Figur für "Das Treffen der Ahnen" im Depot © KOLK 17 2021

Und dann war es endlich soweit und es lief der Countdown zur Freischaltung unserer Ausstellungswebseite. Bis zur letzten Sekunden hatten wir gemeinsam mit der Kommunikationsagentur visual intelligence aus Berlin daran gearbeitet. Ein Meer von Punkten, dazwischen einige in Rot und Gelb – was sich wohl dahinter verbirgt?

Wir laden unser Publikum ein, sich auf eine Suche zu begeben, auf die wir uns auch begeben haben – nach Wissen, nach Bedeutungen, nach Stimmen im Kosmos des internationalen Figurentheaters. Ordnungen sind fragil, werden errichtet und wieder hinterfragt. Es gibt keine kuratorischen Interpretationstext, sondern neben den sechs Künstler:innen-Seiten weitere sechs Seiten zu Begriffen. Hier tauchen Sätze und Wörter auf und verschwinden auch wieder. Regen zum Nachdenken und Weiterdenken an. Die Ausstellungsseite ist ein wachsender Organismus; wir werden sie noch ergänzen mit Ergebnissen unseres Symposiums und wer weiß, wohin uns die Frage Who’s Talking? noch führt?