Populäre Fernsehsendungen der Anfänge

Kleine Fernsehgeschichte vorab

Ab 22. März 1935 sendete der Deutsche Fernseh-Rundfunk regelmäßige Liveaufnahmen und ist der erste regelmäßige Fernsehprogrammdienst der Welt (für 250 Empfänger!). Für die Olympiade 1936 wurde die erste fahrbare Fernsehkamera entwickelt, 1939 die später durchweg gebräuchliche Rechteckbildröhre, die für 650 RM hätte erworben werden können, wenn nicht der Krieg begonnen worden wäre. Fernsehen blieb nun militärischen Zwecken vorbehalten. Die dezentral von den Alliierten eingerichteten Sendeanlagen unterstanden nach Kriegsende der alliierten Kontrolle. Erst im Dezember 1952 wurde der regelmäßige Sendebetrieb im NWDR Hamburg für ca. 1500 Empfänger und auch in Ost-Berlin aufgenommen; die anderen Sender in den verschiedenen Besatzungszonen – Bayrischer Rundfunk, Südwestfunk, Hessischer, Saarländischer Rundfunk, SFB u.a. – folgten rasch. 20 Jahre später standen zumindest in 93% aller West-Haushalte Fernseher. 1963 folgten das ZDF 1969 der DFF 2; ab 1967 wurde das Farbfernsehen eingeführt, ab 1969 in der DDR. 1984 wurden Privatsendern juristisch der Weg freigeräumt: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen die Grundversorgung durch inhaltliche Standards, allgemeine Empfangbarkeit und Sicherung der Meinungsvielfalt wahrnehmen; Privatrundfunk ist also neben den öffentlich-rechtlichen Anstalten nur zulässig, solange letztere die Grundversorgung sichern. 1997 wurde der KIKA von ARD und ZDF gegründet.

Anfangs verstanden die westdeutschen Programmverantwortlichen Fernsehen in erster Linie als Bildungsmedium.

Zunächst auf täglich drei Stunden Sendezeit ausgelegt, gab es Ende der 1950er Jahre täglich bereits ein fünfstündiges Fernsehprogramm. Bis 1965 durften Kinder unter 6 Jahren nicht fernsehen.

Als junges Medium zog das Fernsehen viele junge Leute an, die Neues ausprobieren wollten. Vielfach wird von der Aufgeschlossenheit und Experimentierfreudigkeit der jungen, nicht unbedingt besonders gut bezahlten Redakteure und Kameraleute berichtet. Sie probieren und entwickeln nicht nur dramaturgische oder technische Ideen, sie bauen manchmal auch bei den Figuren und Settings mit und prägen sehr die kreative Aufbruchstimmung.

Fernsehen und Figurentheater

Die Augsburger Puppenkiste stand natürlich für das Medium Marionette und dominierte die gesamte Szene mit Produktions- und Sendezahlen. (BLOG-Beitrag) Die Dezentralität der Sender boten jedoch auch große Chancen.

Albrecht Roser: Blueboxverfahren und Fliewatüüt

Vom Medium Fernsehen ließ sich der Marionettenspieler Albrecht Roser (1922-2011) bis in die Mitte der 70er Jahre inspirieren. Schon nach ersten Fernsehauftritten 1955 folgen, Aufführungsaufzeichnungen, kurze Filme, Abenteuer mit Telemekel, Die Abenteuer des starken Wanja.

Albrecht Roser in der Sendung "Telemekel" © Studio Roser

Eine wichtige Arbeit wird Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt, gesendet ab 1973. Hier wurde das neue Blueboxverfahren für die Kindersendung eingesetzt, das ganz neue Techniken der Illusionserzeugung ermöglichte. Roser baute mit Kollegen in kürzester Zeit ein beeindruckendes Figurenensemble aus Papier, versteift mit Agoplast; sie entwickelten Konstruktionsverfahren mit innerer Stabführung oder speziellen Schnürungen für die relativ großen Figuren, die in realer Landschaft in großen Bühnenobjekten gefilmt wurden.

Hans Scheu: biblische Stabfigurenspiele und Agoplast

Hans Scheu, Leiter der Wuppertaler Puppenspiele, entwickelte ab 1962 mit der Figurengestaltung seiner Tochter Hannelore Labbé und der inneren Stabführung von Karl Heinz Drescher, der auch bei Rosers Fernseharbeiten mitkonstruierte, 40 biblische Stabfigurenspiele. Sie wurden mit dem neuen MAZ-Verfahren auf Videobänder aufgenommen und später leider überspielt. Auch andere Fernseharbeiten von ihm scheinen nicht überliefert zu sein. Er hatte Albrecht Roser auf das im Prothesenbau verwendete Agoplast hingewiesen, eine chemisch versteifbare Pappe. Sie eignete sich nicht nur für Rosers Fernseharbeiten ausgezeichnet, sondern inspirierte ihn und auch andere westdeutsche Puppenspieler:innen zu weitergehendem künstlerischem Figurenbau.

Walter Büttner: Handpuppenfilme mit 12m langer Bühne

Walter Büttner, der ursprünglich aus dem Schaustellermilieu stammte und mit Jahrmarktkasperspielen aufwuchs, drehte von den 50er bis in die 70er Jahre hinein neben seiner Theaterarbeit 18 Handpuppenfilme. Die Szenenbilder waren hinter der 12m langen Spielleiste in 4m Bühnentiefe im Studio aufgereiht, sodass dem Einzelspieler Walter Büttner eine ruhige Handpuppenführung ohne Unterbrechungen bei den unterschiedlichsten Kameraeinstellungen möglich war.

Studioaufbau einer Waldszene für ein Handpuppenspiel von Walter Büttner

Viele interessante Fernsehsendungen sind verloren, weil die Aufnahmeverfahren noch nicht so weit waren, Speichern nicht als wichtig angesehen wurde und dem Kinderprogramm nicht so viel Qualität und Bedeutung zugeschrieben wurde, dass man es aufbewahren wollte.

Fritz Fey: Fiete Appelschnut 

Auch mit der Marionettenbühne von Fritz Fey senior (1912-1986) wurden in den 60er Jahren Kindersendungen gedreht. Fritz Fey hatte die Figur Fiete Appelschnut erfunden, der mit seinem Bello und seinem Freund Hein Segelohr rasch beliebt wurde. Fiete Appelschnut war regional bereits bestens bekannt, da er in die meisten Inszenierungen – also auch in die Märchen – dramaturgisch geschickt eingearbeitet wurde.   

Fritz Fey bei Dreharbeiten zu den Filmen mit Fiete Appelschnut © KOLK 17

Die Weiterentwicklung des Genre ‘Kindersendung’

Mitte der 60er Jahre beendete Friedrich Arndt (1905-1985) seine Theaterarbeit bei den Hohnsteinern ganz und konzentrierte sich nur noch auf Fernsehproduktionen – u.a. Kasper und René. Auch Rudolf Fischer (1920-1998), einst Hohnsteiner und später Leiter der Darmstädter Puppenspiele, wandte sich dem Fernsehen zu und arbeitete als Spieler und Dramaturg bei vielen Sendungen, u.a. auch bei Albrecht Roser und Wolf Buresch mit.

Stoffel und Wolfgang (links) und Rudolf Fischer

Wolf Buresch (*1941), 1959-1963 bei den Hohnsteinern, wird mit Maxifant und Minifant, Hase Cäsar, Plumpaquatsch und Stoffel und Wolfgang, konzipiert für kleinere Kinder, die ab 1965 zum Fernsehpublikum dazukommen, u.v.a. Sendungen zum Fernsehspezialisten. Das Genre ‚Kindersendung‘ entwickelt sich rasant: „Was nehmen Kinder überhaupt wahr? Was in welchem Alter? Welche Werte wollen wir als Autor:innen von Kindersendungen und Erfinder:innen von Identifikationsfiguren vermitteln, welche Geschichten erzählen?“ Das sind die Leitfragen, die Bureschs intensives und erfolgreiches Berufsleben begleiten.

Wolfgang Buresch mit Hase Cäsar

Die Figur als Moderator

Als Gesprächspartner eines Schauspielers taucht die Fernsehfigur schon vereinzelt Ende der 50er Jahre auf; als Moderationsfigur ist sie bis heute sehr beliebt. Viele Sendungen gehen den Weg der Moderation, andere entwickeln immer wieder mehrteilige Filmepisoden. Mit René Marik, Michael Hatzius und Sascha Grammel als Gesprächspartner erobert die Fernsehfigur auch die Erwachsenenprogramme.

Produktionen mit Figuren sind bis heute erfolgreich.

In der deutschen Rahmenhandlung waren Samson (Peter Röders) und Tiffy (Sibi Röders) mit Lilo Pulver und Henning Venske zu sehen

Die Kreativität explodiert ab den 70er Jahren geradezu: Die Sesamstraße, jahrelang in Amerika mit Pädagogen entwickelt und vorbereitet, und mit ihr die amerikanische Klappmaulfigur erobern die Wohnzimmer. Der Puppenspieler lernt, sein Figurenspiel mit dem Monitor zu kontrollieren.Und viele Sendungen und Figuren folgen: Kermit der Frosch, Muppet Show, Hallo Spencer, Ratz und Rübe, Der Spatz vom Wallraffplatz, Siebenstein, Bernd das Brot, … die langjährigen ostdeutschen Serien Flax, Krümel und Struppi (ab 1955-1970 von und mit Heinz Fülfe), Rolf und Reni (1961-1972 von und mit Wolfgang Hübner), Puppendoktor Pille (1959-1988), … und natürlich Sandmännchen bzw. Abendgruß/Unser Sandmännchen mit all seinen unzähligen Figuren-Beiträgen. Das ostdeutsche Sandmännchen setzte übrigens dabei jahrzehntelang (ebenso wie die österreichische Serie Kasperltheater – ab 1957, ab 2008 Servus Kasperl) auf die zuverlässige Wiedererkennbarkeit der Protagonist:innen. Fuchs, Elster, Pittiplatsch, Schnatterinchen und Bummi Bär/Mischka u.v.a. sind bis heute Kult.

Herr Fuchs und Frau Elster mit weiteren Stars des Kinderfunks der DDR

Wie fühlen sich Fernsehproduktionen aus Puppenspieler-Sicht an?

Thomas Rohloff (*1961), beschäftigt sich seit 1986 neben seiner Figurentheaterarbeit bis heute auch experimentell mit Film und Fernsehen, war u.a. Spieler von Ferdinand Friedmann (1992-1995) in Boulevard Deutschland und vom sprechenden Koffer (1987-2018) in Siebenstein. Er zieht eine Bilanz: Für ihn sind auch noch die 80er und 90er Jahre ein Experimentierfeld gewesen. Vieles hat sich durch Kommerzbedingungen und Einschaltquotenkonkurrenz verändert; Sendungen werden immer schneller und immer oberflächlicher produziert. Vor allem dramaturgische und die bildnerischen Qualitäten der früheren Jahre fallen heutiger Hektik und Effekthascherei zum Opfer.

Thomas Rohloff spielt den Koffer in der Serie "Siebenstein"

Er beschreibt auch einen speziellen Aspekt des Spielergefühls der Fernseharbeit: Man spielt ja tatsächlich nur für die drei bis fünf Personen, die vor dem Fernseher sitzen, aber die sitzen eben z.T. millionenfach davor. Man sieht sie nicht, weiß nichts von ihnen, ist sich dessen aber zusammen mit dem ganzen Drehteam irgendwie bewusst.

Auffallend ist, dass es über all die Jahrzehnte kaum Mädchen als Identifikationsfiguren (und keine Redakteurinnen) gibt: Tiffy bleibt ausgesprochen blass und Schnatterinchen muss man mögen … Kindersendungen mit Figuren sind eine ausgesprochene Männerdomäne.

Einen ausführlichen Einblick in die Puppenspielerarbeit im Fernsehen gibt das Sonderheft "Das Andere Theater" Nr. 61 von der UNIMA Deutschland. www.unima.de brDie SW - Fotos stammen aus diesem Figurentheater-Magazin.

Sonderheft Das andere Theater zum Thema "Puppenspiel im Fernsehen"