Das geheime Leben des Eierkartons

Zwei Dinge, die alle im Haus haben sollten, sind ein Gelber Sack - gefüllt, und eine Heißklebepistole – meint Peter Beyer und präsentiert gern, was er mit diesen Grundlagen herzustellen weiß. Oder sollten wir besser sagen – wen?

Ob Flur, Atelier oder Holzwerkstatt, an der Decke, an den Wänden und am Boden - überall begegne ich in seinem Haus in Kiel einer wilden Schar an Plastikflaschen, Käseverpackungen oder ausrangierten Damenpumps, die Dank der Vorstellungskraft des Marionettenbauers ein neues Leben führen. Hier entstanden auch die Portraits der Pop-Band Revolverheld aus Ketchupflaschen, um im Musikvideo zu „Lass uns gehen“ aufzutreten. Da schaut mich aber auch Aladdin an, der im Auftrag der Kieler Oper im Rahmen der Weihnachtsaufführung entstand. Nicht zu vergessen, wackeln da einige ziemlich norddeutsche Jungs im gestreiften Badeanzug aus dem 19. Jahrhundert mit entblößten Beinhaarstoppeln über den Boden.

Upcycling mal anders

Die Figuren von Peter Beyer haben Charakter, Witz und fallen bewusst aus der Norm. Große Klappe, starke Mimik, skurrile Kostüme und wilde Haare gehören zu den Markenzeichen. Passend zum Norden sind glatte Oberflächen nicht sein Stil: „Rosis Vogelsand“ sorgt für mehr Struktur unter der Haut. Wirklich einzigartig ist wohl die gemeinsame Vergangenheit als Gebrauchsgegenstand oder Verpackung. Entstanden ist die Idee, Köpfe und andere Teile aus Müll herzustellen, eigentlich aus der Not heraus. Als Peter Beyer für einen Kindergarten arbeitete, war kein Geld für Bastelmaterial da. So kam es dazu, dass er zum Figurenbau zum Beispiel Eierpappe heranzog und dieses Vorgehen bis heute weiterentwickelt hat.

Neben fertigen Figuren sind allerhand Prototypen unterschiedlicher Entwicklungsstufen im Atelier zu finden. „Ich verbringe so viel Zeit wie möglich hier und doch überholen mich meine Ideen“, erzählt der gebürtige Frankfurter, der mit 13 Jahren begann, sich für Figurentheater und Marionettenbau zu begeistern. Einem Seifenspender oder Sprühkopf sieht er den Charakter schon an. Er erkennt sofort, welche Verpackung zu welcher Kopfform passt und liegt nach Jahrzehnten des Tüftelns voll im Trend, denn Nachhaltigkeit, Upcycling und Zero Waste-Gedanken können mit dieser Art des kreativen Figurenbaus gut vermittelt werden.

Offenheit für Fantasie und Experimentierfreude

Nicht nur für ihn ist das Figurentheater die beste Möglichkeit, sich auszuprobieren und zu experimentieren. Auch Kinder reagieren mit großer Freude auf seine Workshops zum Figurenbau aus Müll. Ob Schulen und Kindergärten in der Umgebung oder die Kinderkulturnacht in Suhl – Peter Beyer möchte vermitteln, dass Kunst Freiheit bedeutet und richtig Spaß macht. In der Nachmittagsbetreuung hat er die Erfahrung gemacht, dass viele Kinder ruhig und konzentriert, bisweilen singend, an ihren Figuren arbeiten und natürlich auch mal Marionetten mit vier oder fünf Beinen dabei herauskommen können.

Umso mehr freut sich Peter Beyer, dass nun wieder vermehrt Schulen und Kindergärten anfragen, um seine Workshops zu buchen. Auch mit Geflüchteten aus der Ukraine wird er ab Juni in Kiel Figuren bauen.

Am Sonntagvormittag, den 12. Juni, holen wir den Marionettenbauer im Rahmen des Hansekulturfestivals auf den St. Petri Kirchhof, um mit Kindern jeden Alters Klappmaulfiguren zu bauen. Im Gepäck: die besten Dinge, die Gelbe Säcke und Altpapiertonnen hergeben - und natürlich Heißklebepistolen.

Peter Beyer findet in Plastikflaschen, Dosen oder Damenschuhen Inspiration für die Köpfe seiner Marionetten.