Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ließ auch die Puppenspieler*innen nicht unberührt. Dabei gilt es, verschiedene Ebenen zu berücksichtigen: die offiziellen Pläne der Regierung, das Puppenspiel intensiv zur Propaganda zu nutzen, die Überwachung und ideologische Gleichschaltung einzelner Spieler*innen und die individuellen Biographien der Spieler*innen zwischen Widerstand und Anpassung.
Die „Entdeckung“ des Puppenspiels und seiner Potentiale durch die nationalsozialistische Regierung beginnt 1937: das Puppenspiel wird in die Abteilung Volkstum/Brauchtum (einer Unterabteilung der Organisation Kraft durch Freude) aufgenommen. Systematisch werden Puppenspieler*innen und Bühnen überprüft und für das kulturelle Programm KdF verpflichtet. Die Organisation Kraft durch Freude bündelte seit 1933 die Freizeitangebote in Deutschland; sie organisierte Reisen, Bunte Abende, Konzerte u.a. Ab 1939 stand die Truppenbetreuung im Vordergrund. Auftritte im Rahmen dieser KdF-Programme boten vielfältige und vergleichsweise stabile Einkunftsmöglichkeiten für die Berufspuppenspieler*innen. Schon 1937 waren 35 Bühnen für die KdF unter Vertrag. Sie traten nun in Schulen auf, in Vereinen oder später in Lazaretten.
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Das Reichsinstitut für Puppenspiel wurde dann 1938 mit dem ausgesprochenen Ziel gegründet, insbesondere das Handpuppenspiel ideologisch zu vereinnahmen und gezielt zu Propagandazwecken einzusetzen. Die Leitung hatte Siegfried Raeck inne. In der Broschüre des Instituts wird deutlich, wie das Handpuppenspiel als volkstümlich und damit fest in der Bevölkerung verwurzelt beschrieben wird; ein Vorteil, den man sich mit einer einseitigen ideologischen Neuausrichtung der Stücke und insbesondere der Kasperfigur zunutze machen wollte:
„Kasper packt gewiss oft derb zu. Aber er ist nicht bösartig. Und wenn er jemand auf den Arm nimmt, dann tut er es nicht aus Schadenfreude oder Niedertracht. Er will nur den anderen zurechtrücken. Mag der andere ihm als der Typ des ewig Verzagten, des meckernden Nörglers, des Dünkelhaft-Hochnäsigen, des Niedrig-Gemeinen gegenüberstehen. Damit steht das Puppenspiel in der Front der weltanschaulich-politischen Erziehung; so wahr weltanschaulich-politische Erziehung bedeutet, Menschen für das Wesen der Gemeinschaft und für das Volk zu formen.“ (Zitat aus der Broschüre des Reichsinstituts: »Das deutsche Puppenspiel« hg. v. Amt Feierabend der NSG Kraft durch Freude, Abt. Volktum/Brauchtum, o. J. (1939), S. 8f.)
Ein Satz von 24 Figurenköpfen wurde von Harro Siegel entworfen und konnte mithilfe eines Kataloges entweder in der günstigen Labolit- oder der teureren Holzausfertigung bestellt werden. Außerdem gab es noch Stücktexte, sog. „Politische Zwischenspiele“ zu kaufen. Das Handpuppenspiel sollte insbesondere in den Jugendorganisationen der NSDAP gefördert werden und der politischen Erziehung dienen. Leider gibt es bisher noch wenig Forschung darüber, inwieweit diese ehrgeizigen Pläne tatsächlich umgesetzt wurden. Erhalten haben sich vor allem die Figurenköpfe, die Stücktexte und die Broschüre des Reichsinstituts für Puppenspiel. Einige autobiographische Skizzen von Spieler*innen bieten Material zu Lebensläufen während der NS-Zeit.
Dass die Linien nicht eindeutig verlaufen in diesem Kapitel der Geschichte des Puppentheaters zeigt die Haltung Xaver Schichtls, der in der Gewerkschaft Deutsche Arbeitsfront die Fachschaft Puppenspieler im Ambulanten Gewerbe vertrat. Er wies stets eindringlich darauf hin, dass durch staatliche Tourneeorganisationen wie KdF den nicht dort organisierten Puppenspieler*innen nicht die Erwerbsgrundlage entzogen werden dürfe. Die Reichstheaterkammer beobachtete die ehrgeizig vorangetriebenen Pläne der HJ misstrauisch und versuchte, Einfluss zu bekommen, wie Silke Technau formuliert (DaT 85(2014), S.4). Zugleich arbeitete Xaver Schichtl als unermüdlicher Lobbyist daran, die ambulanten Figurenspieler*innen endlich von der Zuordnung zur Schaustellerei zu befreien. Die ab 1933 von der Reichskulturkammer betriebene Gleichschaltung des kulturellen Lebens in Deutschland sah er als Chance, das Puppenspiel endlich in den Bereich der Darstellenden Kunst einzuordnen und damit aufzuwerten.
Weiterführende Literatur:
FrontPuppenTheater – Puppenspieler im Kriegsgeschehen, Hrsg.: Dorothea Kolland und Puppentheater-Museum Berlin, Berlin 1997
Puppentheater und NS-Zeit. NS-Zeit im Figurentheater, Das andere Theater 85(2014)
Matthias Brand, Silke Technau: Kasper und die Nazis I, in: Sammlung 5, Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst, Röderberg-Verlag Frank-furt am Main 1982, S. 82–91 mit Abb.
Gerd Bohlmeier: Puppenspiel 1933-1945 in Deutschland. Das Puppenspiel im Dienste der nationalsozialistischen Ideologie in Deutschland, Bochum 1985. ders.: Das Reichsinstitut für Puppenspiel. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus, Phil. Diss. Braunschweig 1989
Melchior Schedler: Schlachtet die blauen Elefanten! Bemerkungen über das Kinderstück, Beltz-Verlag Weinheim und Basel 1973, vgl. darin besonders: »Der Kasper, das Kasperle, die Kasperei«, S. 60–169
Hans Richard Purschke: Schuster, bleib bei deinem Leisten! In Perlicko-Perlacko, Fachblätter für Puppenspiel, Heft 10, I/1973, S. 150–168
Hans Richard Purschke: Dokumente einer verabscheuungswürdigen Tat, in Perlicko-Perlacko, Heft 5, I/1985, S. 91
Michael Harro Siegel: Vom Puppenspiel in Deutschland. Erinnerungen an die N.S.-Zeit, in: Perlicko-Perlacko, Archiv für Puppentheatergeschichte Nr. 2, Frankfurt am Main 1981, (24 S. mit Abb.)