Anlässlich der Blogparade “Female Heritage – Frauen und Erinnerungskultur” hat KOLK 17 Figurentheater & Museum Silke Technau interviewt. Wir stellen ihre Arbeit in der Erinnerungskultur vor und erinnern gleichzeitig an Martha Stocker und Heidi Lohmann, die Gründerinnen der ersten deutschen Frauenbühne des von Männern dominierten Puppenspiels.
Silke Technau, geb. 1955 in Berlin, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft. Seit 1980 ist sie Puppenspielerin im KOBALT Figurentheater Ensemble und lebt seit 2006 in Lübeck. Silke Technau nimmt mit Fachvorträgen an internationalen Symposien teil und ist Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift „Das andere Theater“ der Union Internationale de la Marionnette.
Interview mit Silke Technau zum Thema Frauen in der Erinnerungskultur
KOLK 17 Figurentheater & Museum: Diesen November wird – wie in den Vorjahren – an den Jahrestag der Bombardierung der Hansestadt Lübeck am 28.03.1942 im Zweiten Weltkrieg durch englische Flugzeuge gedacht. Im Rahmen der Erinnerungskultur hat das Figurentheater eine sehr interessante Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen. Was genau hat bei euch stattgefunden?
Silke Technau: Als wir nach Lübeck zogen, bekamen wir mit, dass sich hier jedes Mal zu Palmarum die Stadtbewohner auf dem Marktplatz versammeln, um an die Bombardierung zu denken. Das ist kein nationalsozialistischer Aufmarsch, sondern ein Ereignis in der Geschichte dieser Stadt. Lübeck wurde als erste deutsche Stadt im 2. Weltkrieg bombardiert. Es wird einfach an den Krieg und an die Situation der Stadt Lübeck gedacht.
Wir riefen eine Veranstaltungsreihe ins Leben, die wir „Propaganda, Überleben, Widerstand“ nannten:
Wir erzählten, wie es in der deutschen Puppentheater-Geschichte zwischen 1933 und 1945 war und welche tiefgreifenden Veränderungen von den Nazis geplant wurden. Wir versuchten aus Biografien heraus zu lesen, wie weit diese Veränderungen in den Alltag gingen. Die Nationalsozialisten hatten nämlich eine große Umwälzung vor und wollten das ganze Puppenspiel zur Propaganda nutzen!
Es gab Überlebensformen, Überlebensmöglichkeiten, und darüber gibt es Geschichten, die moderne Figurentheater auf die Bühne brachten. Wir gaben in dieser Veranstaltungsreihe die historischen Informationen und zeigten dann moderne Inszenierungen zum Thema Widerstand.
KOLK 17: Warum setzt du dich mit dem Thema Figurenspiel in der NS-Zeit auseinander und wirst damit zur Akteurin in der Erinnerungskultur?
Silke Technau: Als ich in den 70er Jahren anfing, parallel zu meinen theaterwissenschaftlichen Studien in Berlin Puppentheaterspiel zu lernen, gab es sehr wenige Bühnen. Und die, bei denen wir lernten, gehörten einfach der Generation an, die in der Nazizeit Jugendliche oder Kinder waren und aus dieser Zeit ihr Handwerk hatten. Das waren im Grunde diejenigen, die uns unterrichteten, weil es keine andere Ausbildung in Westdeutschland oder West-Berlin gab.
Wir mussten uns an die Alten, Erfahrenen wenden und gucken, was wir da lernen konnten. Darum fokussierte ich mich auf diese Generation und schaute, wo sie eigentlich herkommt.
KOLK 17: Wie fühlt es sich an, mit deinem Aufsatz „Kasper und die Nazis“ sowie der Inszenierung der Puppenspielgroteske „Zasper“ von Matthias Brand, die du mit deiner Kollegin Kristiane Balsevicius 1984 uraufgeführt hast, mehr als eine Diskussion angestoßen zu haben? Das Tabu, Brüche in den Biografien genauer zu beleuchten, hattet ihr damit aufgebrochen und habt intensive Gespräche ermöglicht …
Silke Technau: Wir schrieben und veröffentlichten diesen Aufsatz 1982, und dann kam das groteske Kasper-Spiel dazu ... So kamen wir in eine Diskussion.
Zur Erklärung: der Verband deutscher Puppentheater hatte Ende der 70er Jahre eine junge Frau als Pressesprecherin engagiert. Diese sagte in einem Interview, dass die Kasperfigur faschistoid sei, was den Verband unglaublich aufbrachte. Im Verband waren sehr viele Kasperspieler, denen die Figur des Kaspers sehr viel bedeutete.
Tatsächlich wurde der Kasper von den Nazis als Propagandafigur ganz böse missbraucht! Jedenfalls waren die Kasperspieler im Verband ziemlich paralysiert, und obendrein kam dann unser Aufsatz, indem wir uns mit der Propagandamaschinerie auseinandersetzten.
In unserer Kaspergroteske „Zasper“ hatten wir einen ganz anderen Spielstil versucht! Der Kasper war bislang durch die Hohnsteiner sehr fein, sehr ordentlich gespielt worden. Wir wollten in einer Groteske für Erwachsene etwas anderes probieren und gingen mit der Puppe auch aus der Bühne heraus.
Diese Groteske, unser Aufsatz und die Bezeichnung des Kaspers als faschistoid kamen zusammen, sodass erstmal die Aggressionen hochspulten. Die Kolleg:innen waren uns sehr böse. Ich hielt aber dagegen, weil ich etwas von ihnen wissen wollte. Weil es mich interessierte. Wir stritten uns ganz fürchterlich! Doch dadurch wurden Krusten endlich aufgebrochen.
Manche alten Puppenspieler wussten, dass wir der einzige Nachwuchs waren und sie sich mit uns auseinandersetzen mussten. Es ergaben sich nach und nach interessante Gespräche, und die alten Puppenspieler erzählten ihre Lebensgeschichten. So kamen wir dann auch auf Heidi Lohmann und Martha Stocker.
“Wir stritten uns ganz fürchterlich! Doch dadurch wurden Krusten endlich aufgebrochen.”
KOLK 17: Das waren zwei sehr interessante Frauen! Sie haben 1947 die erste Frauenbühne gründet und du und Kristiane Balsevicius 1975 dann die zweite. Was kannst du über diese beiden Frauen erzählen?
Silke Technau: Heidi Lohmann hatte eine geradezu klischeehafte Biografie. Sie war zum BDM eingezogen worden, wo sie ihr Temperament ausleben konnte. Sie war sehr dominant, stark. Sie leitete Mädchengruppen, spielte Akkordeon und leitete Puppentheatergruppen. Die Liebe zum Puppenspiel hatte sie von ihrem Vater. Es folgte eine Kindergärtnerinnen-Ausbildung.
1945-1946 zurückgekehrt nach Mühlheim wandte sich Heidi Lohmann an das Ordnungsamt, um die Gründung einer Puppentheatergruppe anzumelden.
Martha Stocker stammte aus einer sehr musischen Familie. Die Eltern und die Kinder hatten gemeinsam gebastelt und viel gespielt. Ihre Cousine liebte das Schattenspiel und wurde später eine sehr bekannte Schattenspielerin.
Martha Stocker hatte zwei kleine Kinder. Ihr Mann war vermisst. Auch sie stammte aus Mülheim, ging zum Ordnungsamt und sagte, sie wolle ein Puppentheater anmelden. Der Ordnungsamt-Beamte dort sagte ihr, vor zwei Tagen wäre schon jemand aus diesem Grund beim Amt gewesen, sie könnten sich ja mal zusammen klinken. Tatsächlich machten die beiden Frauen genau das und bauten sich zusammen eine Bühne auf.
Sie hatten diese Frauenpower, die man haben musste im und nach dem Krieg. Für zwei kleine Kinder zu sorgen, der Mann vermisst, alles war ungewiss!
Heidi und Martha taten sich zusammen, sie zogen Marthas Kinder groß und bauten ihre Existenz auf. Sie arbeiteten zwar gelegentlich mit Männern zusammen, blieben aber eine reine Frauenbühne und machten alles selbst: eigene Puppen, eigene Bühne und eigene Regie.
KOLK 17: 1987 erklärte Heidi Lohmann in einem Interview zum 40-jährigen Bühnenbestehen, es sei ihr ein Anliegen über die Jahre 1933 - 1945 zu sprechen und gab an, beim BDM Puppenspielerin gewesen zu sein. Warum, glaubst du, war ihr das wichtig?
Silke Technau: Naja, der „faschistoide Kasper“ war schon durch die Presse gegangen und ein wissenschaftliches Buch von Melchior Schedler „Schlachtet die blauen Elefanten“ von 1973 hatte mit dem Idol der Puppenspieler, dem – übrigens von den Nazis sehr geförderten – Hohnsteiner Kasperspieler Max Jacob, kritisch aufgeräumt. Dann kam unser Aufsatz, und sie merkte, wie es brodelte.
Man konnte sich nicht mehr einfach zurückziehen und sagen: „Wir vergessen die Zeit!“
Viele im Verband und auch Lehrer, wollten über die NS-Zeit reden, damit die jungen Leute verstanden, worum es ging. So erzählten sie von sich aus. Das war 1987 wahrscheinlich der Grund, warum sie erzählen wollte, wie es bei ihr war.
Dadurch ermutigt zogen wir los, um auch andere aus dem Verband zu interviewen. Und die erzählten dann auch sehr bereitwillig ihre Geschichten. Wir hörten Lebensgeschichten: beispielsweise das Aufbauen eines Betriebes oder einer Bühne mit Filialbühnen. Dieses Privatwirtschaftliche war ein ganz großes Thema, und das andere Thema war die Spielvermittlung durch die Nazis.
Die Puppenspieler der NS-Zeit mussten nicht unbedingt alle ihre Inhalte ideologisch ausrichten, wenn sie zum Beispiel Märchen spielten. Aber sie wurden natürlich nach Qualitätsmerkmalen beurteilt und zur Propaganda in Schulen oder Veranstaltungen der HJ eingeteilt. Manche fanden die Zeit von 1933 bis 1945 gut! Man war versorgt. Gab es auch! Manche hatten mitgemacht, um nicht eingezogen zu werden. Oder sie waren zu jung wie Heidi Lohmann, die als Jugendliche die Zeit beim BDM dazu nutzte, sich dort auszubilden, und lernte, Gruppen zu führen.
Ich weiß nicht, ob alle glühende Nazis waren. Ein glühender Nazi, der schon vor 1933 in der Partei war, war Georg Deininger. Die Bühne gibt es heute noch. Sie haben sehr schöne Sachen gemacht und sehr gute Schnitzer gehabt! Doch Deininger hatte sehr schnell nichts mehr zu sagen. Er trat selbst den Nazis zu radikal in der Öffentlichkeit auf.
KOLK 17: Für Frauen war es etwas ganz Besonderes, Puppenspielerin zu werden. Worin unterschied sich die Theaterarbeit dieser beiden Frauen von denen der Männer? Oder war das einfach nur etwas Besonderes, weil sie in diesem ausschließlich von Männern dominierten Beruf tätig wurden?
Silke Technau: Sie wollten von Anfang an für Kinder spielen, auch für kleine Kinder. Sie machten hin und wieder auch etwas für Erwachsene. Das hatte ich gesehen, sehr witzige Balladen erzählt mit Leierkasten- oder Akkordeonbegleitung, aber es war nicht so ihr Herzenswunsch.
Sie hatten einen Kasper erfunden, der nicht immer der Kluge und der Siegreiche war und der irgendwelche Prinzessin befreite. Stattdessen ging es darum, dass dieser kleine Kasper ein kleines Kind war mit großen Kulleraugen, das auch mal Fehler machte und sich entschuldigen musste. Dann hatten sie sich von der Kasperfigur recht früh auch lösen können. Und als Identifikationsfigur nutzten sie ihre Figur Ente „Wappwapp“. Die Kinder liebten diese Ente! Die Ente machte Planscher in der Badewanne und fiel irgendwie hin und machte alles, was kleine Kinder so machen.
Ich rechne Martha Stocker und Heidi Lohmann hoch an: sie führten sogar ein Stück über sexuellen Missbrauch auf. Auch damals ein großes Problem, was zu der Zeit jedoch nicht in der Presse erschien. Das Stück löste immer wieder große Betroffenheit aus.
Die Erzieher:innen konnten damit überhaupt nicht umgehen. Es war ein Tabuthema! Aber Martha Stocker und Heidi Lohmann hatten auch mitgekriegt, dass betroffene Kinder im Publikum waren! Das war ihnen zu heftig. Auch sie konnten nicht mit dem umgehen, was sie da letzten Endes ausgelöst hatten. Aber dass sie überhaupt wagten, das Thema auf die Bühne zu stellen, das hätte, glaube ich, eine andere Gruppe nicht gemacht! Es wurde erst viele Jahrzehnte später in den 80er Jahren von einer Frauenbühne wieder aufgenommen.
KOLK 17: Leider bis heute ein hochaktuelles Thema! Oder?
Silke Technau: Ja, heute kann man viel mehr und besser darüber reden. Stücke zum Thema des sexuellen Missbrauchs werden jetzt öfter in Puppentheatern aufgeführt, so dass man dann auch Kinder zum Reden bringen kann, dass sie darüber berichten, und so Erzieher:innen, Pädagog:innen oder Therapeut:innen irgendwie eingreifen können.
KOLK 17: Martha Stocker plädierte dafür, dass Puppenspieler eine fundierte Ausbildung erhalten und sah im Studiengang Figurentheater an der staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart einen guten Anfang. Woher kam der Wunsch nach dieser Art der Qualifikation der Nachwuchsspieler und wie sehr hat das mit dem Durchsetzen des eigenen Berufswunsches von Martha Stocker, Puppenspielerin zu werden, zu tun?
Silke Technau: Ob das mit ihrem eigenen Wunsch, Puppenspielerin zu werden, zu tun hatte, weiß ich nicht. Die beiden Heidi Lohmann und Martha Stocker waren kulturpolitisch sehr aktiv. Sie waren immer dabei, wenn Berufsverbandsgründungen versucht wurden. Schon 1948! Der Verband deutscher Puppentheater, der bis heute sehr aktiv ist und gut arbeitet, wurde 1968 gegründet. Die beiden Frauen waren Gründungsmitlgieder und recht bald in der Vorstandsarbeit. Sie waren kulturpolitisch sehr bewusst, und sie wollten mitmachen, auch international.
Heidi Lohmann interessierte sich sehr für die UNIMA-Arbeit. Die UNIMA (Union Internationale de la Marionnette) ist die internationale Vereinigung der Puppenspieler und der Puppenspielinteressierten, also ein ganz offener Verband. Sie stieg da intensiv in die Arbeit ein.
Professor Harro Siegel, ein Deutscher(!), hatte 1959 in Braunschweig die erste UNIMA-Tagung nach dem Krieg ins Leben gerufen. Und alle kamen wieder!
Martha Stocker und Heidi Lohmann hatten schon sehr schnell ein gutes Auto, das wir immer bewunderten und mit dem sie sehr viel reisten. Sie reisten nach Tschechien und Polen. Sie kannten sich auch gut im „Obraszov-Theater“ in Moskau aus sowie in Frankreich!
Sie erkannten die gute Ausbildungslage in den sogenannten Ostblockstaaten, die richtig gute Studiengänge hatten und ihre Puppenspieler für die festen Häuser ausbildeten, die überall entstanden waren. Martha Stocker wünschte sich, dass auch das Niveau in Westdeutschland zumindest steigen sollte. In Ostdeutschland gab es seit 1971 eine Hochschulausbildung.
Aber, wie damals ein jüngerer Puppenspieler sagte, die ganze Zeit von den 1920er Jahren bis etwa 1946 war geprägt von den Hohnsteinern, die einen ganz bestimmten Spielstil hatten und unzählige Lehrgänge gaben. Das kann man sich gar nicht vorstellen! Sie hatten die ganze deutsche Entwicklung dominiert.
Als sich dann in den 50er Jahren die Möglichkeit ergab, woanders hinzufahren und an UNIMA-Tagungen teilzunehmen, auch in Bulgarien oder in Rumänien, da wurde den Deutschen explosiv bewusst, was eigentlich alles möglich war! Und das entwickelte sich dann rasant!
Beide Frauen wollten sich für eine Ausbildung einsetzen, damit der Nachwuchs in Deutschland ein anderes Niveau erlangt.
KOLK 17: Mit deinem Werk „Ein Beruf im Wandel“ beschreibst du sehr ausführlich, wie sich der Beruf des Puppenspielers verändert hat und stets auch politischen sowie gesellschaftlichen Umständen unterworfen war. Welche Widerstände hattest du zu überwinden, um Puppenspielerin zu werden?
Silke Technau: In den 70er Jahren war Puppenspiel noch nicht als Beruf anerkannt. Es gab kaum Nachwuchs, und als ich Puppenspielerin werden wollte, war es in meiner Familie sehr merkwürdig angesehen. Ich hatte ein einigermaßen gutes Zeugnis, ich hätte vielleicht nicht gleich Medizin studieren können, aber irgendwie wurde erwartet, dass ich so etwas mache. Oder Jura. Ich aber wollte Theaterwissenschaften studieren und dann fokussierte ich mich auch noch auf diese Nische! Diese privaten Widerstände fand ich schon schwierig, aber ich zog es trotzdem durch, und irgendwann wurde verstanden, dass da eine Konsequenz hinter war. Ich wurde dann nicht mehr gestoppt.
Wir hatten keine richtige Ausbildungsmöglichkeit und mussten uns Kurse suchen. Der in meinem Buch „Ein Beruf im Wandel“ beschriebene Verband wurde 1968 gegründet, um unter anderem auch Ausbildung zu befördern. Er hatte eine freie Bildungsstätte in Schleswig-Holstein eröffnet, wo Profis eine Woche lang Profis unterrichteten. Dort waren wir oft und lernten sehr viel. Das war ein Fortschritt!
Wir hatten dadurch, dass wir alles selbst zusammensuchen mussten, uns autodidaktisch Fragestellungen entwickelt. Dieses Autodidaktische empfand ich als sehr positiv! Es wird oft als amateurhaft abgelehnt, aber da alles von professionellen Leuten aufgefangen und weiterentwickelt wurde, genoss ich diese Ausbildungssituation sehr. Dennoch musste man erstmal reinwachsen und sich damit auseinandersetzen!
Die berufliche Anerkennung kam erst – vielleicht durch den Studiengang – nach und nach. Die Frage, ob man denn davon leben könne und dieses blöde Geschwätz, das ging erst so langsam weg. Schließlich wurde Puppenspieler als richtiger Beruf anerkannt – auch durch die Künstlersozialkasse. Das alles erwirkten wir wahrscheinlich durch unseren Trotz und heute ist es ein Beruf!
Eine andere Schwierigkeit war, dass wir immer schon für Abendvorstellungen arbeiten wollten. Einen Aufführungsort in Berlin zu finden, war sehr schwierig und sehr teuer. Die Mieten! Wir mussten eine enorme Werbung machen, denn es war nicht leicht, an Publikum zu kommen. Aber wer dann kam, war begeistert und trug es weiter!
Kristiane Balsevicius und ich gründeten unsere Bühne zu zweit. Kristiane kam aus einem völlig anderen Kulturkreis. Ich wuchs in West-Berlin auf, hatte da Abi gemacht und studiert. Kristiane Balsevicius hatte eine Großmutter in West-Berlin, sie wuchs aber in Südamerika auf und pendelte immer zwischen Kolumbien, Panama und Berlin hin und her. Sie hatte ihr Abitur in Kolumbien gemacht. Außerdem ist sie katholisch, und all das brachte sie natürlich ein. Ich lernte viel von ihr, umgekehrt sie von mir, weil wir so verschieden waren.
Wir waren auch in unserer Auffassung, was wir eigentlich spielen wollten, völlig verschieden. Diese explosive Mischung brachte uns dazu, immer wieder andere Stücke zu machen. Wenn man ein Stück von uns gesehen hatte, wusste man nicht, was wir als nächstes machen würden, wir aber auch nicht. Es gab keinen festgelegten Stil, was nicht einfach war. Wir fanden auch nicht immer dieselbe Sprache! Manchmal schrieben wir uns nur Briefe. Doch es war immer der Wille da, sich auseinanderzusetzen. Und das finde ich – jetzt im Nachhinein – sehr bereichernd!
KOLK 17: Bestimmt auch bereichernd, weil kulturpolitisches Engagement auch eine Auseinandersetzung damit ist, die Gesellschaft zu bewegen. Wie wichtig ist es für dich, dich darin zu engagieren?
Silke Technau: Es gibt keine besondere kulturpolitische Konsequenz, die ich in meinem Leben verfolgt hätte. Aber wenn es nötig war, aufzutreten oder zusammenzustehen, dann standen wir auf der Matte! So gründeten wir in Berlin mehrere Arbeitskreise, um diesen Beruf dem Kultursenat als förderungswürdig zu vermitteln.
Dramaturgisch interessiert es mich sehr, dass man nicht diesen „Super-Kasper“ zeigt, sondern brüchige Identifikationsfiguren auf die Bühne stellt. Dass die Kinder gucken müssen, wem wollen sie ihre Sympathie geben, oder soll ihre Sympathie einer Situation gelten! Ich schaue mir an, wie verhalten sich die auf die Bühne gestellten Charaktere? Irgendwann kam für mich nach und nach und immer mehr die weibliche Perspektive dazu!
Weibliche Identifikationsfiguren! Mich hat zum Beispiel die Oper “Rigoletto” von Giuseppe Verdi sehr beeindruckt. Doch anders, als es im Libretto steht, wählten wir für unsere Inszenierung die Perspektive von Gilda, der Tochter Rigolettos. Somit verstärkten wir diese Frauenfigur.
Ich achte, wenn wir die Stücke umschreiben, um sie besonders den weiblichen Figuren „in den Mund zu legen“, auf markantere Sätze und kurze Aussprache und dass das, was sie sagen, stark ist und selbstbewusst.
Das ist für mich eine indirekte Art, Kulturpolitik zu machen.
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