Am Montag stellten wir unser Objekt der Woche vor – eine Marionette aus einem Kriegsgefangenenlager. Das klingt ungewöhnlich. Tatsächlich zeigt die historische Forschung aber, dass Figurentheater immer wieder in Extremsituationen gespielt wurde und wird: so z.B. in Kriegsgefangenenlagern, in Schützengräben, in Lazaretten. Die Menschen selbst schnitzten und bauten sich zum Zeitvertreib Figuren, mit denen sie eigene und überlieferte Stücke spielten. In unserer Sammlung gibt es verschiedenste Beispiele für solche Figuren.
Vor einigen Jahren kam das Tagebuch eines Marinesoldaten in unsere Sammlung, das zeigt, wie er mit einigen anderen gemeinsam Figuren baut und dann in Lazaretten spielt. Man sieht die Fotos der Figuren (sie spielten das alte Marionettenstück des Dr. Faustus), die leider nicht überliefert wurden.
Einen guten Überblick über das Thema des Puppenspiels im Kriegsgeschehen bietet immer noch das Standardwerk, der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung von 1997 im Berliner Puppentheater-Museum. Hier wird die Vielschichtigkeit des Phänomens Frontpuppentheater beispielhaft aufgefaltet: während auf der einen Seite Puppentheater von Laien zum Zeitvertreib betrieben wurde, waren auch professionelle Puppentheaterbühnen vielfältig eingebunden. Es gab nicht nur auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg die zur Truppenbetreuung eingesetzten Puppenspieler, sondern überall. Henryk Jurkowski schildert eindrucksvoll, wie auch unter den Alliierten das Puppentheater nicht nur zur Erholung eingesetzt wurde, sondern sich auch „als brauchbares Instrument der psychologischen Kriegsführung (erwies). Auf der anderen Seite spielte es eine Rolle bei der zivilen Verteidigung und war sicher eine Möglichkeit, Hoffnung und Würde in Gefängnissen und Konzentrationslagern zu stärken“ (AK Frontpuppentheater 1997: S. 154).
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Während das Reichsinstitut für Puppenspiel das Potenzial für Propaganda in dieser Kunstform auf deutscher Seite zu forcieren versuchte, gab es z.B. in Polen subversive Aktionen wie das Stück Szopka 1943, das Krippenspielmotive mit satirisch-politischen Zwischenspielen kombinierte. In Großbritannien entstand 1940 sogar explizit eine Serie von Figuren, mit denen im Punch-and-Judy-Stil das Kriegsgeschehen thematisiert und die politischen Akteure durch den Kakao gezogen wurden. Jack Ketch, der Henker, trug die Gesichtszüge von Adolf Hitler und endete wie üblich selbst am Galgen. In Slowenien gab es ein Partisanentheater. Auf Seiten der Sowjetunion, in der seit der russischen Revolution das Figurentheater von staatlicher Seite stark gefördert worden war, organisierte das Staatliche Zentrale Puppentheater Propagandaprogramme, die überall gespielt wurden.
Das gemeinhin als „unverdächtige“, „kindliche“ Kunstform verstandene Puppentheater zeigt hier also seine Janusköpfigkeit: es kann auch in Extremsituationen Trost spenden, Lachen möglich machen und auf diese Weise Erleichterung bringen. Genauso stark ist aber die Möglichkeit, Puppentheater manipulativ einzusetzen und als Propagandainstrument zu nutzen.
Weiterführende Literatur zum Thema Frontpuppentheater:
Ausstellungskatalog (AK) Frontpuppentheater. Puppenspieler im Kriegsgeschehen. Hg. Dorothea Kolland und Puppentheater-Museum Berlin, Berlin 1997