Shakespeare, Retter in Corona-Zeiten

Aufführungsabsagen, Ausgangs-Einschränkungen? Was ist das denn? Zuhause sein? Homeoffice für Theaterleute, wie soll das denn gehen? Kein Publikum, keine Aufführungen! Zuhause sein???  

Letzten Herbst bot uns Gerhard ‚Toni’ Seiler seine Inszenierung Shakespeare in Eile an –  allerlei Shakespeareszenen, gespielt mit kleinen Stabmarionetten, die Jürgen Maaßen geschnitzt hatte, und mit der lebensgroßen Elisabeth I. aus der Nadel von Mechtild Nienaber. Nie gesehen! Viel gehört! Kleine Stabmarionetten? Nie wirklich ausprobiert! Maaßen und Nienaber, eine wilde Mischung? Wir sagen unbesehen zu. 

Elisabeth I. ist lebensgroß und nicht mehr jung: Sie bekommt einzelne Shakespeareszenen als Geburtstagsgeschenk von ihrem Verehrer Sir Archibald. Das Globe-Theater, das sie in Wirklichkeit nie betreten hat, weil es in einem sehr verrufenen Viertel Londons lag, kommt in Form einer großen Geburtstagstorte eben zu ihr. Toni, als charmanter Sir Archibald und Elisabeth’s Verflossener, spielt für seine Königin mit den kleinen Marionetten augenzwinkernd bekannte und unbekannte, freche, böse, traurige und romantische Szenen; dazwischen sind immer wieder Gespräche mit der Queen (natürlich auch von Toni gespielt), die gerne einen Pudel auf der Bühne hätte, sich amüsieren will und droht, bei Langeweile Köpfe rollen zu lassen. 

Anfang März sehen wir Tonis letzte Aufführung, schwatzen ihm noch sein herrliches Spielerkostüm ab, weil es Silke erstaunlicherweise passt, und verfrachten Stück, Puppen, Literatur, Torte, Tonis Wehmut und freudige Neugier Richtung Lübeck. 

Und dann nix mehr … s.o. 

Existenzstress, Telefonate, Videokonferenzen, Umfragen … Stephan im Homeoffice! 

Zuhause bleiben? Hmmm! Etwa nach Herzenslust?? 

Und plötzlich Trotz! Dann eben Shakespeare lesen! Trotz! Wollte ich schon immer mal! Trotz! Die Stücke aus der Bühnentorte! Und noch ein paar mehr! Trotz! 

Wir tauchen ein in eine andere Zeit, recherchieren Inszenierungen, Filme über Shakespeare, Musik, Biografien. Schon meldet sich temperamentvoll die Queen Elisabeth I.; an der kommen wir wohl gar nicht vorbei. Sie hat Shakespeare geschätzt, bei Hofe auftreten lassen, seinem Ensemble gute Arbeit ermöglicht. Wer war sie? 

Silke wühlt in Kommentaren, Essays, wir bekommen einen Eindruck von Shakespeares ungeheuerlicher Sprache (Othello hatten wir ja schon mal inszeniert, aber jetzt diese Orgie?!), die immer wieder provoziert und inspiriert hat. Seine Figuren sind plastisch, poetisch und wahnsinnig emotional. Immer geht es mindestens um Leben und Tod.  

Die kleinen Stockmarionetten warten geduldig, bis Silke soweit ist: Wir können Tonis Solostück ja zu zweit spielen, wenn wir hier und da ergänzen, erweitern, zuspitzen, ein Lied einfügen … Elisabeth, ihr Narr, Sir Archibald und 17 kleine Marionetten. 

Silke schreibt Monologe, Dialoge, sucht aus den Übersetzungen die besten Texte für die Marionetten heraus, lässt Jürgen Maaßen, den alten Fritz-Kortner-Fan, noch über einen Shylock nachdenken, beauftragt auch einen wunderschönen Romeo für Julia – der fehlte irgendwie. Wir Puppenspieler freuen uns aufs Spielen mit den kleinen, feinen Burschen und Mädels. Werden sie das Globe-Theater in der Torte respektieren oder, wie Puck, gleich über die Sahne fliegen? Wird Romeo nach einem Balkon in der Torte fahnden? Wird der bucklige Richard III. auf einem Pudel bestehen: „Dass Hunde bellen, hink ich wo vorbei!“? Der dicke Falstaff flucht schon mal. 

Licht und Musik müssen die aufregenden Texte zu unterstützen! 

Im Dezember soll das Stück fertig sein. Wann und wo werden wir es dann spielen …?