Ein schauerliches Liebesdrama ©KOLK17
Mord und Totschlag waren beliebte Themen von illustrierten Schauerballaden, mit denen sogenannte Bänkelsänger beginnend im 17. Jahrhundert bis ungefähr zu den 1930er Jahren ihr Publikum unterhielten. In dem Wort Moritatentafel stecken die Begriffe „mors“, der Tod, und Moral. Am Ende konnte stets eine moralische Botschaft übermittelt werden.
Auf einer Leinwand wurden Bildergeschichten gezeigt, von denen manche auf wahren Begebenheiten beruhten. Jedoch wurden beim Erzählen alle Geschichten mit einer ordentlichen Prise Sensationslust und Drama gewürzt.
Der Bänkelsänger zeigte auf die Szenen, erzählte oder besang, mitunter begleitet von einem Musiker, das Geschehen auf den einzelnen Bildern.
Die Moritatentafel je schauerlicher desto besser !
Dabei war der Sänger sehr gerne dramatisch und schmückte wortreich seine Ausführungen zu den schrecklichen Szenen auf der Leinwand aus. Je schauerlicher desto besser und gleichzeitig konnte mit erhobenem Zeigefinger vermittelt werden, was moralisch verwerflich war!
Die Fantasie des Publikums wurde ordentlich befeuert, was sich schließlich an einer gut gefüllten Hut-Kasse zeigen konnte, die nach der Darbietung herumgereicht wurde.
Gute Bänkelsänger zogen mit den aufgerollten Moritatentafeln von Gasthof zu Gasthof und verdienten mit den Darstellungen ihren Lebensunterhalt. Es gab Maler, die sich auf Moritatentafeln spezialisiert hatten; von einem der bekanntesten, Adam Hölbing (1855-1929), stammt auch eine sehr qualitätvolle Tafel in der Sammlung KOLK17. Aber die Übertreibung des Schauders und die Lust am Grusel wurden so sprichwörtlich für die Moritatentafeln, dass sie sogar parodiert wurden.
„Der blutdürstige Schlachter oder Die Köksch von Bellevü“!
Das erklärt die gruseligste unserer Moritatentafeln, die sogar früher in unserem Foyer hing: „Der blutdürstige Schlachter oder Die Köksch von Bellevü“! Sie ist sehr grob gemalt und die Geschichte - selbst im Vergleich mit anderen Moritatentafeln - einfach hanebüchen.
Einige Besucherinnen und Besucher blieben irritiert vor der Leinwand stehen und mochten nicht glauben, was sie darauf sahen. Es ist ein enormer Unterschied, ob man zufällig eine Moritatentafel im Museum sieht und sich deren schaurige Geschichte Szene für Szene erschließt, oder ob man sich bewusst entscheidet, einen Krimi im Fernsehen anzuschauen.
Die große Zahl an Krimis im Fernsehen beweist, damals wie heute sind Mord und Totschlag für das Publikum spannende Themen!
Hier eine kurze Beschreibung der Moritatentafel:
In der ersten Szene sehen wir einen Schlachter, der seiner Arbeit nachgeht. Dabei sieht dieser Mann recht zufrieden aus. Er stopft Wurst und ist verliebt. Er denkt an die schöne, dralle Köchin, deren Bild oben rechts zu sehen ist.
In der zweiten Szene sehen wir, wie der Schlachter am Abend die schöne Köchin bei Laternenschein in seinen Armen hält. Endlich kann er seine Geliebte küssen! Doch wenn man genau hinschaut, entdeckt man hinter seinem Rücken im Dunkeln eine weitere Gestalt. Wie unpraktisch! Diese Gestalt ist seine Ehefrau, die ihren Mann in Flagranti erwischt.
In der dritten Szene werden wir Augenzeuge eines schrecklichen Streits zwischen dem Schlachter und seiner Ehefrau. Der Schlachter holt mit seiner Axt aus. Die von vielen Schwangerschaften ausgemergelte Frau reißt vor Schreck die Arme hoch.
In der vierten Szene ist zu sehen, wie der Schlachter in seinem Blutrausch die ganze Familie im Schlafgemach auslöscht. Köpfe rollen. Das Blut tropft und im Mondlicht ist eine riesige Blutlache auf dem Boden zu sehen. Es ist sehr, sehr schaurig!
Die fünfte Szene zeigt einen sehr langen Trauerzug. Schwarze Pferde ziehen eins, zwei, drei ... mindestens neun Särge.
In der letzten Szene sehen wir, wie sich der Schlachter die schöne, dralle Köchin fest in seinen Armen haltend in die Fluten eines Gewässers stürzt. Hat er sich durch seine Bluttat von der Familie befreit, so kann er doch mit der Schuld, die er auf sich geladen hat, nicht weiterleben und begeht erweiterten Selbstmord!
Mit einer Moritatentafel lässt sich also herrlich schauern. Bitte nur ein bisschen!