Wir starten unsere Teilnahme an der MuseumWeek auf twitter unter dem Tagesmotto Heroes mit einem sehr klassischen männlichen Helden: dem Ritter Georg – hier im Norden auch Sankt Jürgen genannt - , einem christlichen Heiligen und Nothelfer. Unter anderem war er für Blitzeinsätze gegen Fieber und Pest zuständig – passend für unsere Zeiten! – und außerdem ein Symbol für den ewigen Kampf gegen das Böse.
Unser Held aus der Sammlung ist eine unserer ältesten Figuren und gehört zum Nachlass der Puppenspielerdynastie Winter. Gebaut wurde der Hl. Georg vermutlich um 1900 von Karl Traugott oder sogar Heinrich Johannes Winter sen. (1863-1943). Gut 85 cm groß, angetan mit Spitzen und einer wunderbaren, detailreichen Rüstung handelt es sich um eine klassische Marionette, die bei den alten umherziehenden Puppenspielern eine ähnliche Stellung innehatte, wie Schauspieler heute im Theater: sie konnte umgezogen werden und durchaus auch verschiedene Rollen spielen. Bei uns ist zu dieser Marionette z.B. noch der Name „Golo“ verzeichnet; eine böse Figur aus der Legende der Genovefa von Brabant.
In seiner Rolle als Georg aber kämpfte er als Ritter in strahlender Rüstung gegen einen fürchterlichen Lindwurm – den Inbegriff alles Teuflischen – und befreite die holde Jungfrau, die dem Drachen zur Besänftigung geopfert werden sollte. Diese Prinzessin ist übrigens in unserer Sammlung nicht zu finden. Entweder eine unserer schönen weiblichen Winter-Figuren hatte unter anderem auch diese Rolle, und wir wissen es nur nicht, oder die Winters haben diesen Teil der Legende weggelassen und sich nur auf den actiongeladenen Teil konzentriert. Und der hatte es in sich!
In einer prächtigen Inszenierung – auf dem Foto aus einem alten Katalog stehen Drache und Ritter vor einem wunderbar gemalten Bühnenprospekt – fochten die beiden einen dramatischen, wilden Kampf aus: Georg rasselte mit seinem Schwert und hieb um sich, der Drache schien Feuerfunken zu speien. Am Ende siegte natürlich der Ritter, aber der Drache wartete noch mit einem atemberaubenden „Stunt“ auf: Wenn ihm der Ritter den Kopf abschlug, ergoss sich ein Schwall von rotem Blut auf die Bühne! Wer auch immer den Drachen gebaut hat – er hatte einen Sinn für Bühneneffekte. Im Innern des Drachen ist ein rotes Tuch versteckt, dass am Ende blitzschnell herausgezogen wurde und den Blutschwall simulierte. In Zeiten vor computeranimierten Kampfszenen war das sehr beeindruckend.
Überhaupt die Figur des Drachen: mit seinem 139cm langen Körper aus dunkelgrünem Stoff, Leder und Holz wirkt er schon sehr bedrohlich, wie mit einem Schuppenpanzer überzogen. Aber am beeindruckendsten ist der Kopf. Kein Wunder! Denn dieser ist aus dem Kopf eines Hechtes geformt (den der leidenschaftliche Angler Karl Winter angeblich selbst gefangen haben soll). Die Verwendung von ungewöhnlichen Materialien zur Steigerung der theatralischen Effekte war keine Seltenheit unter Puppenspielern, insbesondere, was die teuflischen, unheimlichen Figuren anbelangt. Aber das verbindet unsere Figuren auch mit der Kunst: so hat sogar der Lübecker Künstler Bernt Notke, dem ein beeindruckende St. Jürgen-Gruppe in Stockholm (Kopie bei uns in der Katharinenkirche!) zugeschrieben wird, im 15. Jahrhundert Elchgeweihe für seinen Drachen verwendet, um ihn noch furchteinflößender zu gestalten.
In den 1980er Jahren kam der Nachlass der Puppenspielerdynastie Winter an das KOLK 17 Figurentheater & Museum, Lübeck, mit vielen Marionetten, Requisiten, wunderbar gemalten Bühnenbildern und einer ganzen historischen Bühnenkonstruktion.
Heute sitzen der Ritter Georg und sein treuer Freund, der Drache, etwas erschöpft im Depot und ruhen sich von ihrem langen und aufregenden Leben auf der Bühne aus.