Werner Perrey und Karl Pechascheck: Wie sah das Leben von Puppenspielern zur NS-Zeit aus?

von | Nov 6, 2020 | Wissen, Zeit des Erinnerns 2020

Im Folgenden sollen zwei Puppenspieler-Biografien dargestellt werden, die sehr unterschiedlich verlaufen sind und Zeugnis über den vielfältigen Alltag in der NS-Zeit ablegen. 

Beide, Werner Perrey und Karl Pechascheck, galten als gute Spieler, verbrachten ihre Jugend in Schleswig-Holstein und kehrten auch später immer wieder gern zurück. 
Sie traten neben einigen anderen Puppenspielern in Lübeck auf – in Schulaulen, auch mal im Stadttheater oder im Sommer in den Wallanlagen. Das Handpuppenspiel im Sommer unter freiem Himmel war durchaus üblich und entsprach der jahrhundertelangen Jahrmarktkaspertradition. 

Beide Bühnen spielen viele selbstgeschriebene Stücke jeweils mit ‚ihrem’ Kasper, inszenieren aber auch Literatur, Märchen, Sagen der Gegend. Dennoch ist ihre Einstellung zur NS-Zeit sehr unterschiedlich; möglicherweise sind sie sich als Kollegen kaum oder gar nicht begegnet. 

Karl Pechascheck (1894-1978)

Karl Pechascheck, im März 1894 in Ratzeburg geboren, wird 1913 Statist am Lübecker Stadttheater. Im 1. Weltkrieg ist er abkommandiert als Schauspieler zur Truppenbetreuung. Angeregt durch Aufführungen der Hohnsteiner gründet er 1929 das Handpuppentheater Karl Pechascheck oder auch „Pechaschecks Kasperbood“ mit Dr. Faustens Höllenfahrt, für die er seine eigenen Handpuppen schnitzt. Der Lübecker Kunsterzieher Benno Petersen (1896-1966) spielt in seiner Freizeit mit. Wahrscheinlich um 1940 nennt Pechascheck seine Bühne in Westmark-Puppenspiele um; die Nazis gaben dem Gau Saar-Pfalz 1940 offiziell den Namen Westmark; wann Pechascheck nach Rheinland-Pfalz ging, ist unbekannt. 1942 schließt er sich den Moselland Puppenspielen an: Er übernimmt die Handpuppenaufträge, Hans Scheu, der  die am Landestheater Koblenz 1940 neu eingerichteten Moselland Puppenspiele leitet, spielt die Marionettenengagements. Wie viele andere Puppenspieler können sie sich bis ca. 1944 der Einberufung entziehen, indem sie für Wehrmachtsbetreuungen spielen. 

Karl Pechaschek
Karl Pechascheck mit seiner Kasperfigur Foto: Hans-Jürgen Wohlfahrt

Karl Pechascheck hat gegen die Nazis nichts einzuwenden: Schon 1933 schreibt Petersen, der spätere „Lübecker Kasper“, „Das Puppenspiel vom Luftschutz“. Beide inszenieren es in Zusammenarbeit mit dem Reichsluftschutzbund Berlin. Aufklärungs- und Besserungsspiele gegen Abweichler und gegen passive, gleichgültige Haltungen werden gefördert – eine neue Zeit war aufzubauen. 

Liest man heute die Inhaltsangabe, ist man von der naiven Komödiantik irritiert, das eigenartige Spiel wurde jedenfalls nicht ironisch verstanden: 

Der betrunkene Kasper streitet sich mit Gretel, schläft ein und hat einen Albtraum von einem feindlichen Luftangriff. Am nächsten Morgen meldet er sich, um über zivilen Lustschutz aufgeklärt zu werden. Begeistert wird er nun Luftschutzblockwart. „Herzerfrischend wirkt, wie er in den Straßen das Volk aufrüttelt und mit einem Kinderluftballon drastisch die deutsche Luftmacht kennzeichnet. Er überzeugt den schwerfälligen und dickköpfigen Bauern ebenso wie den neunmalklugen Professor Meckerfritz …“ und dessen Frau, die Kasper dazu bringt, den Dachboden zu entrümpeln. Kasper ist schließlich der beste Blockwart, wie sich bei einem Probealarm herausstellt. 

Einen Luftballon als Machtsymbol vielleicht doch absurd zu empfinden, ist wohl eher heutig. Das Spiel beweist die propagandistische Vereinnahmung des Puppenspiels und die Kriegstreiberei schon ab sofort, ab 1933.  

Zu Karl Pechaschecks Repertoire gehören viele Kasperstücke, einige Märchen, die Sage vom Travemünder Roggenbuk, vom Kindermörder Papendöneke vom Ratzeburger See, Der Freischütz, Der eingebildete Kranke u.a. 1952  steigt er in die Verkehrserziehung im Auftrag der schleswig-holsteinischen Landesverkehrswacht ein. 

Nach dem Krieg kehrt er zurück nach Ratzeburg, wo er im April 1978 als beliebtes Ratzeburger Original stirbt. Sein Enkel Thomas Bohrer baut mit Pechaschecks Nachlass ab 1979 das Charivari-Puppentheater in Münster auf, das heute von jüngeren Puppenspieler*innen geleitet wird. Pechaschecks Figuren haben eindrucksvoll geschnitzte Physiognomien, spätere Farbfotos belegen fernwirksame Farbenfreude und eine eigenwillige Schnitzhandschrift. Der Großteil dieser Figuren und Pechaschecks Bühne sind heute im Familienbesitz.

Eine Pechascheck-Figur findet sich jedoch auch in der Sammlung vom KOLK 17 Figurentheater & Museum:

Album für Karl Pechascheck in Anerkennung seiner Verdienste als Luftschutzkasper in der Sammlung vom KOLK 17 Figurentheater & Museum

Werner Perrey  (1896-1967)

Werner Perrey, geb. am 14.11.1896 bei Danzig, kommt als 10-Jähriger nach Kiel, wird im Mai 1916 zum Ersten Weltkrieg einberufen und zieht schwärmerisch los; auch seinen jugendbewegten Kasper nimmt er mit. Doch die französische Kriegsrealität ist härter, grausamer, als er es sich vorstellen konnte; auch der Einblick in die alkoholgeschwängerten Militärhierarchien ernüchtert ihn nachhaltig. Perrey schlägt sich als Deserteur gegen Ende des Krieges wieder zurück nach Hause durch.  

Werner Perrey
Werner Perey mit Kasper aus dem Buch „Werner Perrey – Der Kieler Kasper“ von Jutta Matz

Er beginnt Literatur- und Theaterwissenschaften, Philosophie und Geschichte zu studieren und schreibt Puppenspiele für Erwachsene mit einem unternehmungslustigen Kasper. Perrey macht sich in den 20er Jahren einen sehr guten Namen mit seinem kabarettistischen oder satirischen Kaspertheater. Kasper und Marieken spielen mit Allegorien, absurden Szenen, satirischen Anspielungen und dramaturgisch kniffligen intellektuellen Überraschungen. Z.B. soll Kasper Knigge-Medizin trinken, um manierlicher zu werden; oder er sucht eine aus einem Roman entflohene Frau im Zeitungswald und beim Ungeheuer Mammon, oder Kasper prügelt sich in Amerika mit Mr. Dollar und Mr. Spleen und stellt die beiden schließlich bei Hagenbeck aus. Oft spielt Perrey dabei in niederdeutschem Dialekt. Aber auch die selbstgeschriebenen Kasperspiele für Kinder sind phantasie- und humorvoll.  

Perrey interessiert sich für die norddeutsche Künstlerszene, ist u.a. befreundet mit Nolde und Barlach. Für den Figurenbau arbeitet er z.B. mit dem schleswig-holsteinischen Maler und Holzbildhauer Hans Rickers zusammen. Überlegungen zu Ästhetik und Wirkung von Puppentheater begleiten immer wieder seine praktische Arbeit. 

Perrey wird zu ausgedehnten Gastspielreisen durch Deutschland und Nordeuropa engagiert. Als Hörspielregisseur und Autor schreibt er Sendungen, u.a. auch eigens inszenierte 60-minütige Funkkasperspiele, in denen Kasper und sein Marieken auftreten.  

Anfang der 30er Jahre versucht er, sein Studium wiederaufzunehmen, dass er wegen erheblicher finanzieller Schwierigkeiten in der Wirtschaftskrise hatte abbrechen müssen, schließt seine Studien aber wieder nicht ab. 

Darüber hinaus gründet er zwei Familien, um die er sich beide bis zuletzt kümmert. Seine Geliebte aus reicher Familie soll er, der aus ärmeren Verhältnissen stammt, nicht heiraten. Seine Ehefrau ist Künstlerin und hilft ihm beim Puppentheater mit. Für letztere ist die Situation nicht einfach. Die Kinder aus beiden Beziehungen lernen sich erst spät kennen. Gute Einnahmesituationen wechseln sich mit schweren Existenzkrisen ab. Die Nazis verbieten ihm seine kabarettistischen Auftritte; trotzdem bewirbt er sich wieder erfolgreich bei der Spielvermittlung der KdF – für die auch Pechascheck arbeitet –, um nicht in den Zweiten Weltkrieg, den er von Anfang an verabscheut, an die Ostfront eingezogen zu werden.  

Er dreht Werbefilme, Kulturfilme, sogar Propagandafilme; die filmische Dokumentation polnischer Ghettos Anfang des Krieges schockiert ihn wie übrigens auch Leni Riefenstahl, die sich daraufhin weigert, Kriegsdokumentationen zu drehen. Auch solchen Aufträgen kann er als Spieler für die KdF entkommen.  

Gegen Ende des Krieges hilft er häufig einem internierten Franzosen mit Essen und Familienkontakten. Man hört auch gemeinsam ‚Feindsender’, um die Frontlinien zu verfolgen, und sehnt das Ende des Krieges herbei. Diese gute Freundschaft überdauert die Zeit. 

Nach dem Krieg betätigt er sich politisch für die SPD bis in den Anfang der 50er Jahre und schlägt sich mehr schlecht als recht als freier Mitarbeiter bei Rundfunk und Film durch. Sorgen und Depressionen zermürben ihn. Er stirbt am 27.6.1967 in Resenis bei Kiel. 

Sein Nachlass befindet sich heute in der Puppentheatersammlung München.  

Dies sind nur zwei von den vielen unterschiedlichen Lebensläufen deutscher Puppenspieler*innen. Sie konnten oder wollten sich dem widersprüchlichen Beitrag zum Zeitgeschehen nicht entziehen, litten daran oder auch nicht und wurden darüber alt. 

Lietraturauswahl zum Thema Puppenspieler zur NS-Zeit

Astrid Fülbier: Handpuppen- und Marionettentheater in Schleswig-Holstein 1920-1960, Dissertation Kiel 2002 

Jutta Matz: Werner Perrey – Der Kieler Kasper, Norderstedt 2020 

Manfred Wegner (Hrsg.): Handbuch zum künstlerischen Puppenspiel – Deutschland, Österreich, Schweiz, München 2019 

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3 Kommentare

  1. Christian Rathmer

    Die Biographien zweier großartiger, lebensbejahender Menschen, die es zu entdecken lohnt und die nicht vergessen werden sollten!

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  2. Max Mybes

    Sehr guter Artikel! Nur eine Sache stimmt nicht: Das „Charivari Theater“ in Münster wird seit 2016 von Wilfried Plein alleine geleitet, nachdem Thomas Bohrer in den Ruhestand ging. Von 2018 bis 2020 traten Hendrikje Winter und Paula Zweiböhmer als Puppenspielerinnen dort auf. Inzwischen haben sie sich jedoch vom „Charivari“ gelöst.

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  3. Technau

    Hallo Max Mybes, als ich den Artikel schrieb, hatte ich viel Kontakt zu Max Schaetzke, Hendrikje und er haben da wohl noch gespielt. Dann ist jetzt Andreas Blaschke oft dort , weil es Wilfried gesundheitlich gar nicht gut geht. Ich vermute, da ist einige Änderung nötig/geplant/im Gange …?!
    Darum habe ich nur lapidar jüngere Puppenspieler:innen geschrieben; das legt den Blogbeitrag, der ja lange zu lesen ist, nicht fest.
    Viele Grüße an den treuen und aufmerksamen Leser!
    Silke Technau

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