Was Obstkisten und Rhabarber mit Figurentheater zu tun haben

Das Werk des Franz Winzentsen

Bei dem Wort „Rhabarber“ kommen vielen wahrscheinlich Bilder von leckeren Fruchtkuchen oder Saftschorlen in den Sinn. Nun fragt man sich natürlich, was Kuchen und Kaltgetränke mit Kunst zu tun haben. Wahrscheinlich viel, denn letztlich kann alles Kunst sein. Aber in unserem Fall geht es nicht um die Frucht, sondern um das Figurentheater, das dahintersteckt. „Rhabarber“ steht für mehr als ein Jahrzehnt fantastisches Figurentheater in Hamburg-Altona. Denn so hieß ebendieses Theater, das von 1970 bis 1983 für eine besondere Art des improvisierten (Hand-)Puppentheaters für Erwachsene stand. Kopf des Quartett-Ensembles war Professor Franz Winzentsen.

Der gebürtige Hamburger studierte Anfang der 60er Jahre Malerei, Grafik und Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Winzentsen ist nicht nur Puppenspieler, sondern vor allem auch Figurenbauer und Filmemacher.

Franz Winzentsen steht bei der Eröffnung der Ausstellung in der Kunsthalle in Stade vor seinen Rhabarberfiguren. ©Mariane Poeschel

Das Besondere an der „Puppenbühne Rhabarber“ war, dass die Figuren nicht für vorgegebene Stücke gefertigt wurden. Die aus Pappmaché gefertigten Handpuppen von Franz Winzentsen  stellen keine Menschen oder Menschentypen dar. Es handelt sich um Wesen, die zwar in unserer Welt leben, aber doch einen ganz eigenen Zugang zu den Dingen dieser Erde haben. Sie sprechen ihre ganz eigene Sprache, die trotz allem für das Publikum verständlich ist. Der fantastische Effekt der Rhabarber-Stücke bestand darin, diese eigenartigen Wesen auf der Bühne auf Alltagsgegenstände, Schrott und Fundsachen treffen zu lassen und daraus die Szenen der Stücke zu entwickeln.

Bild 2: Rhabarber-Figur aus „Das Fenster“ in einer Obstkiste inszeniert. Das Bild entstand im KOLK 17-Depot vor dem Versand nach Stade. ©Lena Friedrichs

Erst waren also die Puppen da und anschließend wurden die Stücke den Charakteren der Figuren „auf den Leib geschneidert“. Bei den Handlungen ging es meist um Situationen und Dinge, die den Zuschauer:innen vertraut waren, die Handpuppen dagegen vor Herausforderungen stellten. Im „Rhabarber-Puppentheater“ gab es übrigens ausschließlich Handpuppen. Das lag daran, dass eine Marionette zwar durch Tanz und Bewegungen ihre Gefühle ausdrücken, jedoch nicht „handeln“ kann. Sie kann also nicht handgreiflich Bezug zu Dingen herstellen. Eine Handpuppe kann Gegenstände anfassen, sie betasten und sie transportieren. All das waren Gründe für das Puppenspieler-Quartett, ihre frühen Versuche mit Marionetten aus Fundstücken („Objets trouvés“) aufzugeben und nur noch mit Handpuppen zu spielen.

Neben Franz Winzentsen waren auch Bernd Hof sowie Holger und Sigrid Sajuntz und seine Frau Ursula Asher-Winzentsen Gründer:innen des kleinen Hamburger Figurentheaters, das lediglich über 60 Sitzplätze verfügte.

Die Puppenspieler der Puppenbühne Rhabarber. V.l.n.r. Franz Winzentsen, Holger Sajuntz, Sigrid Sajuntz, Bernd Hof. Quelle: Magazin #7 „Fake, Figuren und Fiktion. Die bewegte Welt des Franz Winzenten. ©Franz Winzentsen

Im Jahre 2016, nämlich am 28. Februar, wurden die Handpuppen, die nunmehr in Szenen innerhalb von Obstkisten installiert wurden, in unsere Dauerausstellung im ehemaligen TheaterFigurenMuseum integriert.

Geschäftsführende Museumsleitung, Dr. Antonia Napp, die die Schenkung damals als ihren Einstand feierte, sagte in ihrer damaligen Rede:

„Das künstlerische Handpuppenspiel für Erwachsene nach 1945 ist noch gar nicht vertreten und somit schließt Rhabarber eine große Lücke in unserer Sammlung. Unsere These, dass Figurentheater eben kein „Kinderspiel“ ist (nicht nur, jedenfalls), sondern eine Kunst, die gleichberechtigt zwischen den anderen darstellenden und bildenden Künsten bestehen kann, dies wird durch die Rhabarber-Figuren eindrücklich bewiesen.“
Dr. Antonia Napp beim Eintrag im Gästebuch der Kunsthalle des Museums in Stade. ©Mariane Poeschel

Während das TheaterFigurenMuseum und das Figurentheater nunmehr zu einer Institution nämlich, KOLK 17, fusioniert sind und sich der Kolk im Umbau befindet, sind unsere Rhabarber-Objekte im Kunsthaus des Stader Museums ausgestellt. Dort können Besucher:innen seit dem 17. Juni 2023 „Fake, Figuren und Fiktion. Die bewegte Welt des Franz Winzentsen“ bewundern. Dr. Antonia Napp und Mariane Poeschel (wissenschaftliche Mitarbeiterin) durften bei der Ausstellungseröffnung dabei sein. Bis zum 31. Oktober 2023 ist sie noch besuchbar.