von | 21 Jun 2021 | Prozess, Who's Talking?

Startschuss „Who’s Talking?“ – vom Aufwecken der Figuren

Kann eine Theaterfigur ohne Figurentheater existieren, also ganz ohne Drama und Animation? Bevor ich zu KOLK 17 kam, hätte ich diese Frage wahrscheinlich mit „Ja“ beantwortet. Nur weil sie – so dachte ich – vom Theatersubjekt zum Wissensobjekt gemacht wird, heißt das ja nicht, dass sie gänzlich ihren Charakter verliert. Und jetzt? Seitdem ich als Koordinator für das spannende Projekt „Who’s Talking? – Perspektivwechsel auf Provenienz“ mit im Boot sitze, sehe ich vieles mit anderen Augen – und das, obwohl das Projekt gerade erst durchstartet. Eine verfrühte Bilanz …

Meine Arbeit für das Projekt „Who’s Talking?“ beginnt mit einer Faszination für die Idee, Provenienzforschung bei Theaterfiguren zu betreiben. Ich lebe in Berlin und bin vertraut mit dem Themenfeld kolonialer Raubkunst. Provenienzforschung und Restitution sind Begriffe, die ich v.a. mit Kunstwerken wie den nigerianischen Benin-Bronzen in Verbindung bringe, die eigentlich im umstrittenen Humboldt-Forum ausgestellt werden sollten. Aber dass auch die Theaterfiguren vom Kolk eine Herkunftsgeschichte haben, war mir – so absurd es klingen mag – zuvor gar nicht so bewusst. Daher wurde ich besonders hellhörig, als ich davon erfuhr, dass es ein Projekt geben wird, das mit künstlerischen Methoden die Forschung an den außereuropäischen Exponaten der Sammlung vorantreibt. Ich begann, mich in das Thema einzuarbeiten. Beim Durchstöbern des Museumskataloges stieß ich auf eine Fülle von Informationen zu Historie und Spielweisen der Figuren. Ich war so gebannt von diesem Wissensreichtum, dass ich zunächst erst einmal gar nicht realisierte, was dabei alles im Verborgenen bleibt.

Ein bisschen im Verborgenen wühlen mussten auch die beteiligten Künstler:innen von „Who’s Talking?“. Genau wie ich bekamen sie im Vorhinein Dokumentationsmaterial zur Sammlung und zum Museum zugeschickt, um anhand dieser Materialien eine Projektidee zu entwickeln. Künstlerisch Position beziehen zu etwas, das bis dato nur als fotografisches Abbild oder durch Beschreibungen wahrgenommen werden konnte, ist gar nicht so einfach. Darum war es für mich besonders interessant, dass die meisten Bewerber:innen es scheinbar hinnahmen, etwas zu einer Figur zu erarbeiten, die sie noch gar nicht kannten. Das führt mich zurück zum Anfang: Kann man eine Theaterfigur kennen, wenn man nur dem Wissen über sie, aber nicht ihr selbst begegnet ist?

Nachdem die Truppe von Künstler:innen feststand, die für „Who’s Talking?“ ihr künstlerisches Statement erarbeiten, wurde mir klar, dass diese „Konzeption auf Distanz“ keinesfalls zu Einbußen bei Kreativität oder Themenvielfalt führt. Da im Verlauf des Projektes zumindest alle in Deutschland lebenden Künstler noch direkt in Kontakt mit den Figuren treten konnten bzw. können, glaube ich sogar, dass hierin eine Chance liegt: Jetzt ist es so, dass sich die Teilnehmenden mit ihrer Projektidee als „Fahrplan“ den Figuren annähern. Durch ein konkretes Interesse, das bei der ersten Begegnung bereits feststeht, können sie gezielt Dinge herausfinden. Würde das Aufeinandertreffen mit den Figuren am Anfang stehen, könnte es durchaus sein, dass im Verlauf der Ideenentwicklung eher wieder mehr Distanz entsteht.

Das erste Treffen mit dem „Who’s Talking?“-Team und allen Künstler:innen fand über Zoom statt. Bei einem zweitätigen Kick-Off-Workshop im April wurde sich intensiv ausgetauscht. Die sechs Künstler:innen aus China, Mali, Elfenbeinküste, Türkei, Südafrika und Russland sprachen z.B. darüber, was „Sprechen“ für sie bedeutet oder wie ein Erste-Hilfe-Kit für „verwundete“ Puppen aussehen könnte. Tatsächlich standen dabei oft weniger die Figuren selbst, als diejenigen, die sich mit ihnen beschäftigen, im Vordergrund – „Wer spricht über die Figuren? (Who is talking about the puppets?)“. Das ist auch wichtig, weil im Falle von Theaterfiguren die Urheber:innenschaft gewissermaßen „aufgeteilt“ wird – nicht nur die Figurenbauer:innen, sondern auch die Spieler:innen der Figur machen sie zu dem, was sie ist. In Bezug auf den Workshop wirft das Fragen auf: Ab wann kann davon gesprochen werden, dass eine Figur „gespielt“ wird? Wer darf sie spielen?

Die vorgestellten Projekte involvieren bisweilen nicht nurPuppenspiel. Auch die aufgegriffenen Themen behandeln weitaus mehr als nur Fragen zur Spielweise und Geschichte der Exponate. Hier treffen Motion-Capture-Technologie und traditionelle Ansätze aufeinander, und eine im weitesten Sinne politische Auseinandersetzung rund um das Themenfeld Kolonialität begegnet einem Interesse an der materiellen Beschaffenheit der Figuren. Der Austausch in Zoom hat schon einmal bewiesen, dass sich die verschiedenen Herangehensweisen keinesfalls ausschließen, sondern sich stattdessen gegenseitig inspirieren können. Die Frage, ob auch die Figuren dabei zum Sprechen kommen, blieb jedoch unbeantwortet.

Es dürfte aufgefallen sein, dass ich die ganz zu Beginn aufgeworfene Ansicht, dass eine Theaterfigur eben eine Theaterfigur ist, auch wenn sie nicht mehr aktiv bespielt wird, mittlerweile stark anzweifle. Sie kann weiterhin Wissen provozieren und vermitteln – ein Wissen, das beispielsweise mit einem Text neben dem ausgestellten Objekt vermittelt werden kann. Aber meiner Meinung nach ist all das eher ein Wissen ÜBER die Figur und nicht ein Wissen VON der Figur. Es erzählt viel darüber, wie wir – als Sprechende – unsere Informationen zum Objekt ordnen und weitergeben wollen. Etwas zynisch könnte man meinen, dass dieses Wissen mehr über uns, als über die Figuren verrät. Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Die Informationen zu Kontext und Herkunft können z.B. helfen, Expert:innen zu finden, die traditionelle Spielweisen beherrschen. Und wenn das nicht möglich ist, kann der Input aus Texten und Abbildungen die Vorstellungskraft anregen. Aber dieses Spannungsverhältnis zwischen der Figur als Charakter (Subjekt) und dem Museumsobjekt als Träger von Wissen und Unwissen bleibt bestehen. Und genau diesen Zwischenraum macht sich „Who’s Talking?“ zu nutze.

„Zwischenraum“ ist sowieso ein guter Oberbegriff für alles, was ich bisher bei dieser Arbeit erleben durfte. Auch das Museumsdepot könnte als solcher angesehen werden. Die Figuren kommen von einer theatralen Reise und ruhen dort, bis sie wieder hervorgeholt bzw. „aufgeweckt“ werden. Ich konnte bei zweien der momentan stattfindenden Depotbesuche der Künstler:innen dabei sein – ein tolles Erlebnis. Besonders interessant war für mich die Atmosphäre – es fühlte sich tatsächlich so an, als würden hier ganz viele Figuren schlafen. Und anders als beim Kick-Off-Workshop hatte ich das Gefühl, dass hier – sobald sie wach geworden ist – tatsächlich die Figur spricht. Vielleicht sogar, weil sie so lange verstaut war. Insofern hat sich meine anfangs ausgesprochene Vermutung nun doch bestätigt: Eine Theaterfigur bleibt eine Theaterfigur, auch wenn sie nicht bespielt wird. Aber gerade deswegen ist es umso wichtiger, auf welche Weise und von wem sie anschließend aufgeweckt wird. Who’s talking? Who’s performing?

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