von | 13 Mai 2022 | Who's Talking?

Dem Duft des Frühlings auf der Spur

Auf seltsame Art dem Leben entrissen – das scheinen Theaterfiguren, die zwar Teil unserer Sammlung sind, uns aber keine Geschichte zu erzählen wissen. Als Museum für Theaterfiguren stehen wir immer wieder vor der Frage, wie wir nicht nur ein Objekt zeigen, sondern auch Bühnenpräsenz und Spiel erlebbar machen.

Figuren aus Europa mögen wir Stück für Stück enträtseln können. Zu vielen Figuren aus afrikanischen und asiatischen Ländern fehlt uns jeglicher Zugang. Wir wissen nicht, wo sie genau her kommen, wer sie zu welchem Zweck gefertigt hat – wie sie sich auf der Bühne bewegt haben.

Diese chinesischen Figuren aus unserer Sammlung gaben ihre Geschichte lange Zeit nicht preis.

Das Erzählen beweist meine Existenz.

Shasha Li

Als die chinesische Puppenspielerin Shasha Li zum ersten Mal las, dass wir mehr als 20.000 Exponate beherbergen und davon mehr als 900 aus dem asiatischen Raum, war sie „schockiert“ angesichts dieses riesigen kulturellen Schatzes. Und der großen Aufgabe, diesen zugänglich zu machen. Die junge Künstlerin, die ihre Figuren selbst herstellt, holt sich Anregungen für ihre modernen Interpretationen gern aus dem traditionellen Figurentheater ihres Landes. Die verschiedenen Spielarten, hinter denen sich häufig eine bestimmte Philosophie, Glaube, eine Verbindung zu Natur und Erde, verbergen, empfindet sie als besondere Nähe zu den Menschen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Traditionen, von denen einige bereits verschwanden und viele ein Nischendasein fristen, wieder aufzuspüren, sie zu dokumentieren, ihre Geschichten zu erzählen.

„Lao Mei Chun Xiang“ – hinter der Stickerei auf dem Bühnenvorhang verbirgt sich der Name einer Theatergruppe

Eine Zeile – eine Reise

Kein Wunder also, dass unsere Einladung, sich im Rahmen des Projektes Who’s Talking? mit unserer Sammlung zu beschäftigen, ihre Neugier weckte. „Der Funke wollte jedoch nicht sofort überspringen,“ erinnert sich unsere Museumsdirektorin Antonia Napp. Corona machte persönliche Treffen unmöglich. Shasha Li konnte die Objekte nur anhand von Fotos erleben. Keine gute Basis für eine leidenschaftliche Recherche.

Begegnung nur mittels Fotografie: Shasha Li entschied sich für die Auseinandersetzung mit einer ganz Reihe von Objekten unserer Sammlung // Fotos: Olaf Malzahn, Shasha Li

Und doch brannte das Feuer bald beim Anblick einer rot lackierten Holzbühne, die seit den 1980er Jahren gemeinsam mit rund 60 gerade einmal 30 Zentimeter großen Figuren zur Sammlung gehört. Deren Köpfe und Körper sind zum Teil austauschbar und bestehen auch aus unterschiedlichem Material. Gespielt werden sie über dünne Eisenstangen, die an den Händen befestigt sind:

Als ich den unbekannten Figuren begegnete, war ich aufgeregt (…) Es war ein Treffen, möglich gemacht durch eine geheimnisvolle Kraft. (…) Manchmal frage ich mich, warum die Figuren zu mir gekommen sind? Was versuchen sie mir zu sagen? Suchen Sie ihre Nachkommen?

Shasha Li

Shasha Li folgte dem Ruf und begann ihre Reise mit einem Namen, eingestickt auf den Theatervorhang der Bühne: „Lao Mei Chun Xiang“ – alte Pflaumenblüte, Frühlingsduft. Pflaumenblüten kommen schon bei niedrigen Temperaturen zum Vorschein und gelten als erste zarte Frühlingsboten. In unserem Fall verkündete der Schriftzug oberhalb der Bühne den Zuschauer*innen den Namen einer Theatergruppe aus der Region Chaoshan. Soweit die Vermutung. Ein erster Ansatz für die künstlerische Erforschung unseres Objektes war gefunden.

Weißnasen-clowns und kulturelles Erbe

Die Recherchen von Shasha Li enthüllten viele Details rund um diese traditionelle Theaterform aus der Region Chaoshan. Vor Ort entdeckte sie ganz ähnliche Figuren wieder. // Fotos: Olaf Mahlzahn, Shasha Li.

Shasha Li tauchte tief ein in die Welt des Theaters mit Eisenstabfiguren. Ihr Beitrag zur virtuellen Ausstellung von Who’s Talking liefert umfangreiche und auch sehr persönliche Aufzeichnungen zu jeder Figur der Sammlung. Wir erfahren, dass einige erstaunlich präzise gefertigt sind, andere von sehr einfacher Qualität. Ein weißer Fleck zwischen den Augen deutet auf eine besondere Clownsfigur hin, während die Form der Augenbrauen verrät, ob es sich um eine weibliche oder männliche Figur, um einen Zivilisten oder um Militär handelt. Einige Kopfbedeckungen und Kleidungen, die beispielsweise Minister repräsentieren sollen, müssen vor 1966 genäht worden sein, denn sie verschwanden mit Kulturrevolution unter Mao Tse-tung. Da Materialien im Laufe der Zeit sehr teuer wurden, konnten gerissene Kleider oder Teile der Bühnendekoration nicht vollständig ersetzt, sondern nur mit ähnlichen Stoffresten ausgebessert werden.

Das wichtigste: Wir erfuhren, dass diese Kunst überlebt hat. Zwar gibt es aktuell nur um die 30 Menschen, die mit Eisenstabfiguren ihren Lebensunterhalt verdienen, aber die Kunstform gilt mittlerweile als schützenswertes kulturelles Erbe in China.

Fast vergessen – und doch sehr lebendig

Die Eisenstabfiguren dank der Dokumentation in Aktion zu sehen, erfüllt auch uns mit Freude. Fotos: Shasha Li

Und die Reise geht weiter: Ihre Recherchen hielt Shasha Li in einer Film-Dokumentation fest, die am 4. Juni im Kino Koki in Lübeck Premiere feiert. Darin nimmt sie uns mit in das Dorf Dawu, wo Wu Hansong in vierter Generation die Köpfe der Eisenstabfiguren aus Ton fertigt. Sie kann nachweisen, dass dessen Vater am Bau vieler Figuren aus der Sammlung von KOLK 17 beteiligt war. Wir erhalten Einblick in die aufwändige Arbeit an den Holzkörpern. Wir verfolgen, wie die bunten Kleider und bedeutungsvollen Kopfbedeckungen entstehen.

Insbesondere lernen wir die Menschen kennen, die diese Tradition aufrecht erhalten. Dabei darf das Spiel natürlich nicht fehlen. Endlich sehen wir, wozu unsere bisweilen leblos wirkenden Objekte imstande sind. Die Bilder sind beeindruckend. Erkennbar erzählen sie die Sichtweise einer Puppenspielerin, einer Künstlerin, die nicht nur die Information über eine fast vergessene Form chinesischen Figurentheaters, sondern ein Gefühl einzufangen versucht. Es entsteht eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.

Wir möchten diese bis nach Lübeck und bis in die Zukunft weiterbauen. Shasha Li wird uns mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen rund um das chinesische Figurentheater weiter begleiten. Es ist eben diese Vielstimmigkeit, der Perspektivwechsel, den wir uns für die Ausstellungen am KOLK 17 Figurentheater & Museum wünschen.

Einblicke in die Dokumentation:

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Filmpremiere ist am 04. Juni um 11:00 im Kino Koki, Mengstraße 35 in Lübeck mit anschließendem Gespräch mit der Künstlerin.
Karten können Sie über die Webseite des Kinos reservieren.

Mehr aus dem Prozess von „Who’s Talking?“

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