(Kunst) Vom Sich begegnen – Walks and Stories mit Yacouba Magassouba

von | Dez 14, 2022 | Blick ins Depot

Ein Zusammenkommen erzählt aus zwei Perspektiven.

Sonja Riehn und Mandy Okereke, die sich im Rahmen der Ausstellung „WHO’s TALKING“ per Telefon und PC mit dem malischen Puppenspieler Yacouba Magassouba ausgetauscht haben, berichten vom ersten analogen Treffen in Kassel und ihren Erlebnisse auf der documenta 15.

Walks and Stories mit Yacouba Magassouba

von Sonja Riehn

Seit nun fast vier Jahren beschäftige ich mich mit den Objekten aus Mali in der Sammlung KOLK 17. Zum ersten Mal begegnet bin ich Yacouba Magassouba im Frühjahr 2021, im virtuellen Raum. Für das Forschungs- und Ausstellungsprojekt WHO’S TALKING? schlugen wir ihm einen künstlerischen Austausch mit den malischen Sammlungsobjekten vor. Die Idee griff er gleich auf und entwickelte zusammen mit seiner Compagnie Nama und Salif Berthé das Figurenspektakel La Fête au Village, das im Sommer 2021 in Bamako uraufgeführt wurde. Seitdem arbeiten wir in verschiedenen Projekten mit Yacouba zusammen. Als Yacouba Anfang diesen Jahres erwähnte, dass er zusammen mit dem Künstler:innenkollektiv Fondation Festival sur le Niger im Programm der documenta fifteen involviert sein würde, konnten wir es nicht fassen. Wir wussten, diese einmalige Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen. 

„Ich hatte eine tolle Zeit in Kassel und habe viele nette und inspirierende Menschen kennengelernt! 

Ich habe mich so sehr gefreut, Dich und Mandy endlich in echt von Angesicht zu Angesicht zu treffen!“ 

[…] Ich war wirklich beeindruckt von dem Publikum in Kassel […und] super glücklich, an der documenta teilzunehmen. Es hat mir viel Inspiration für meine Arbeit gegeben.“ 

Yacouba Magassouba

Ein herzliches Aufeinandertreffen

Im ersten Moment ist es irreal, Yacouba persönlich gegenüberzustehen. Im zweiten das Normalste der Welt. Das Miteinander ist gleich sehr vertraut. Die Positivität, die er ausstrahlt, färbt im Nu auf mich ab. Yacouba drückt mir eine kleine Marionette in die Hand. Eine andere reicht er Mandy. Sofort erkennen wir, dass es sich um eine Hasen- und eine Schafsfigur handelt. Beide Tiere zählen zu Yacoubas Lieblingstieren.Wir unterhalten uns über seine Präsenz auf der documenta, die Zusammenarbeit mit KOLK 17, aber auch die politische Situation in Mali, den Klimawandel und das schwindende Interesse der jungen malischen Generation am Figurenspiel.

Bulon – ein Raum für Kunst und Zusammenleben

Dann nimmt uns Yacouba mit zum Hübner-Areal, dem Ausstellungsort im Osten der Stadt, der in diesem Jahr zum ersten Mal bespielt wird – unter anderem von dem Künstlerkollektiv Fondation Festival sur le Niger aus Mali, an dem auch Yacouba beteiligt ist. Wie wirken die Hallen, in denen einst Bauteile für Busse und Bahnen produziert wurden, wohl in ihrer neuen Funktion als Ausstellungsräume? 

Kaum haben wir das Areal betreten, sind wir in eine andere Welt eingetaucht. Auch wenn unsere Blicke neugierig zu allen Seiten schweifen, folgen wir zunächst Yacouba, der uns zum Zelt des malischen Künstlerkollektivs bringt, wo wir freudig begrüßt werden und uns gleich ein Glas Tee angeboten wird. Yacouba scheint sich hier sehr wohlzufühlen, denke ich im Stillen und kann auch verstehen, warum. Die Räume und Installationen strahlen eine ganz besondere Wärme und Kraft aus.

Als uns Yacouba mit in den nächsten Raum zu den einzelnen ausgestellten Kunstwerken des malischen Künstlerkollektivs nimmt, steigert sich dieser erste Eindruck. Die Art und Weise, wie Yacouba von den Kunstwerken erzählt, fasziniert mich. Nicht nur Yacoubas persönliche Engagiertheit ist von enormer Strahlkraft, sondern auch die der Kunstwerke.Die Kurator:innen Salia Malé und Mamou Daffé wollen den von ihnen geschaffenen Raum als einzigartige, ganzheitliche künstlerische Schöpfung verstanden wissen, bei der die Kunstwerke miteinander kommunizieren. 

Der Raum ist von dem Konzept des Bulon inspiriert. Bulon kann bei den Mandingo, einer Community, die in Gambia, Guinea, Senegal, Mali, Guinea-Bissau, Sierra Leone, Burkina Faso und in weiteren Regionen des westlichen Afrikas lebt, nicht nur als ein physischer Raum eines Hauses, vergleichbar mit einem Vestibül, verstanden werden, sondern auch als ein vielschichtiger Begriff mit starker symbolischer Bedeutung. Der Raum zeigt symbolische Gegenstände, die mit dem Zusammenhalt und dem Gemeinschaftsleben in Mali verbunden sind.

Auch dass zahlreiche Künstler:innen aus den unterschiedlichsten Genres der malischen Kunstszene hier während der documenta zusammenkommen, ist Teil des Konzepts. Tatsächlich treffen wir in den wenigen Stunden, die wir im Areal verbringen, auf zahlreiche Künstler:innen aus dem Kollektiv, die uns Yacouba alle vorstellt. Einer von ihnen ist Salif Berthé, der Regisseur des von KOLK 17 mitinitiierten und geförderten Figurenspektakels La Fête au Village, was mich besonders freut. 

Hunderte Figuren, hunderte Geschichten – die Wall of Puppets

Besonders viel Zeit verbringen wir vor der Installation Wall of Puppets von Yaya Coulibaly, einem bekannten Figurenspieler aus Mali, der Ende Juni leider schon wieder abgereist war. Fotos von Yaya Coulibalys Figurensammlung bzw. der der Sogolon-Gesellschaft habe ich schon viele gesehen.

Hier betrachten mich nun 200 Figuren aus dem heutigen Mali hautnah in beeindruckender Vielfalt an Formen und Farben. Auch ohne, dass sich die Figuren bewegen, löst die direkte Begegnung eine völlig neue sinnliche Wahrnehmung in mir aus und obendrein das Gefühl, dass mich die Figuren anschauen und mich auffordern, mehr über sie und die Geschichten, die mit ihnen verbunden sind, herauszufinden.

Die ausgestellten Figuren (dort als Masken bezeichnet) bestehen aus Holz, Bambus, Betondraht und Nylonsaiten. Sie zählen zu jenen symbolischen Gegenständen, die im direkten Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsleben in Mali stehen und in Mali Teil eines kulturellen und sozialen Lern- und Transformationsprozesses junger Erwachsener sind, wenn – vermittelt über das Figurenspiel – beispielsweise das Miteinander in der Gemeinschaft und die Beziehung zwischen Natur und Welt thematisiert werden.

Von den 200 Figuren sind die meisten Marionetten, was für mich besonders interessant ist, da sich unter den malischen Sammlungsobjekten in der Sammlung KOLK 17 keine einzige Marionette befindet. Einige der Tiercharaktere kommen mir bekannt vor, völlig neu sind dagegen die Darstellungen menschlicher Charaktere. Welche Geschichten wohl mit ihnen erzählt werden?

Neben Gesichtsmasken erkenne ich außerdem große menschliche Figuren, Tierfigurenköpfe – einige davon mit kleinen Figuren an den Hörnern – und sogenannte booth puppets, bewegliche Figuren, die auf großen beweglichen Tierfiguren(bühnen) gespielt werden.

Ein Anflug von Vollkommenheit – Nashornvogel und Antilope als Ganzfiguren

Einen besonderen Glücksmoment erlebe ich beim Umwandeln der Tierfiguren vor der Wandinstallation. Anders als die Tierfigurenköpfe an der Wand, sind die beiden Figuren – eine Vogel- und eine Antilopenfigur – in Gänze ausgestellt, also mit Tragegestell und Kostüm.

Mein einziger Bezugspunkt zu malischem Figurenspiel sind bislang nur die einzelnen Figurenteile in der Sammlung KOLK 17 gewesen. Es ist überwältigend, hier nun zwei Tierfiguren so nah sein zu können und somit der Ästhetik dieses besonderen Figurentyps ein Stückchen näher zu kommen. 

Animiert werden Figuren wie diese von nur einer Person, erklärt uns Yacouba und ergänzt, dass es sich bei der Vogelfigur mit Perlhuhnfedern um den mali kono handle, einen besonderen Nashornvogel, der erscheint, um die Unabhängigkeit Malis anzukündigen. Der mali kono zählt zu einer der jüngsten Figurentypen im Repertoire von sogo bò, dem traditionellen, tänzerischen Figurenspiel mit großen mobilen Tierfigurenbühnen in Mali.

Yacouba erklärt, dass die Ohren der Antilopenfigur eigentlich beweglich sind und gar nicht nur nach unten zeigen sollen, sondern sich im Spiel hin und her bewegen, und demonstriert das, indem er die Ohren schwungvoll berührt.

Das besondere Vermittlungskonzept dieser documenta sind die sogenannten Walks and Stories, bei denen Kunstvermittler:innen, sogenannte sobat-sobat, die Besucher:innen über das Ausstellungsgelände begleiten; anhand großer und kleiner Erzählungen werden Räume, Geschichten und Arbeitsweisen gemeinsam erkundet und erlebt.

Mein bisheriger Nachmittag war eine ganz persönliche Walks and Stories-Tour mit Yacouba, ein Nachmittag voller großer und kleiner Erzählungen. Doch bevor ich weiter über dieses besondere Vermittlungskonzept nachdenken kann, setzt sich Salif Berthé zu mir ins Zelt und erzählt von der Story Telling Performance Noura, die ich gleich im Anschluss, zusammen mit vielen anderen interessierten documenta-Besucher:innen, sehen werde.

Ein besonderer Tagesausklang im Sandershaus

Gegen Abend machen wir uns auf den Weg zu den brachliegenden Flächen der leerstehenden Haferkakaofabrik und dem danebenliegenden Sandershaus, das nicht nur als Hostel genutzt wird, sondern auch Kulturzentrum, Repair-Café, Bar, Restaurant und zugleich Unterkunft für geflüchtete Menschen ist. Eine Menge neugierige Besucher:innen haben sich im Garten des Sandershauses versammelt, der an diesem Abend spontan als Bühne für den indonesischen Künstler Agus Nur Amal PMTOH und Yacouba und seine Marionetten dient.

Nachdem Agus Nur Amal PMTOH auf wundervolle Art und Weise seine Geschichte (mit Haushaltsgegenständen) zu Ende erzählt hat, treten Yacouba, Salif Berthé und ein weiterer Künstler aus dem malischen Kollektiv auf die Bühne. Nach einer kurzen Begrüßung und Danksagung, greift Yacouba eine der kleinen Marionetten, zunächst die Gazellenfigur, und beginnt sich und die Figur zum Trommelrhythmus zu bewegen.

Mein Blick richtet sich abwechselnd auf die Marionette und Yacouba. Es scheint, als seien sie eins. Beide bewegen sich zu den Trommelklängen, beide sind in ihrem Element. Dann lasse ich meinen Blick durch das begeisterte Publikum schweifen, das antreibend im Rhythmus der Trommeln klatscht, und ich freue mich, mittendrin zu sein und darüber, Yacouba endlich live spielen zu sehen. Ein bezaubernder Ausklang eines ereignisreichen Tages.

Eine marionette géante aus Mali in Kassel

von Mandy Okereke

An diesem warmen Juli-Sonntagmorgen ist es noch ruhig in der Kasseler Innenstadt, nur vereinzelt sind bereits documenta-Besucher:innen unterwegs. Der Königsplatz, der gleich Ausgangspunkt einer Performance im öffentlichen Raum werden soll, wird durch beidseitig haltende Trams in regelmäßigen Abständen zweigeteilt. 

Nach einer Weile kommt eine Künstler:innengruppe mit viel Equipment zum Platz, hält kurz inne und läuft dann geschlossen auf ein schattiges Fleckchen unter Bäumen zu.

Wir sehen dabei zu, wie eine marionnette géante, eine riesige Frauenfigur, in maßgeschneidertem Kostüm in Braun- und Orangetönen von dem malischen Puppenspieler Yacouba Magassouba aufgebaut und gegen einen Baum gelehnt wird. Am faszinierendsten sind die großen Hände, die an Stäben manipuliert werden.

Wenige Sekunden später ertönt ein paar Meter entfernt eine Djembé, deren kräftiger Klang sogleich den gesamten Königsplatz einnimmt. Innerhalb kürzester Zeit findet eine Menschentraube zusammen: neugierige Spaziergänger:innen, Familien mit Kindern, Künstler:innen, documenta fifteen-Besucher:in­-nen und Fotograf:innen halten inne, um die Performance zu begleiten.

Vom Königsplatz aus ziehen die Teilnehmenden des Festzuges mit Tanz und Gesang in die Obere Königsstraße. Neugierig Gewordene schließen sich an, staunen, schauen zu oder laufen mit. Die riesige, von Yacouba Magassouba manipulierte Figur, die die Prozession begleitet, beeindruckt und zieht sämtliche Blicke aus allen Richtungen auf sich – sie überragt die Menschen, die der Performance beiwohnen, um mehr als das doppelte, und ihr Kostüm in leuchtenden Farben ist von weither sichtbar und setzt einen intensiven Kontrast zum sonstigen Grau in Grau der Betonwüste in der Innenstadt.

Eine Marionette bringt die Menge zum Tanzen

Die Künstler:innen der Fondation Festival sur le Niger, die zur documenta fifteen eingeladen wurden, interagieren für ihre Foto-Performance mit dem Publikum und diese Interaktion wird wiederum Teil der Performance. Viele Besucher:innen werden gebeten, die an Holzstangen befestigten Fotografien, die Mitglieder der in einigen Regionen Malis existenten Geheimgesellschaft kôrèdugaw aus einer zeitgenössischen Perspektive zeigen, zu tragen und sich nebeneinander aufzureihen. Im Rhythmus der Djembé, des Dundunba und des Gesangs, an dem die gesamte Künstler:innengruppe beteiligt ist, bewegt sich die Menge, die beinahe einer Prozession gleicht, vorwärts.

Auf dem Friedrichsplatz angekommen hält die Prozession an und formiert sich zum Kreis, dessen Innenraum nun zur Bühne wird – für die Musiker:innen und Tänzer:innen der Grup-pe, die hier nacheinander kurz den gesamten Bühnenraum für sich einnehmen und dabei stets von Gesang und Percussion begleitet werden. Das Publikum wird zunehmend größer, denn auf dem Friedrichsplatz befindet sich auch das Fridericianum, einer der Hauptausstellungsorte der documenta, an dem sich mittlerweile viele Besuchende eingefunden haben.

Von hier an wird das Procedere noch mehrmals wiederholt: Der Festzug bewegt sich langsam voran, hält immer wieder inne, formiert sich zum Kreis, der zur Bühne wird und sich nach einzelnen performativen, tänzerischen Darbietungen wieder auflöst, um erneut prozessionsartig voranzuschreiten. Direkt vor dem Fridericianum hat auch die marionnette géante ihren ganz eigenen Auftritt. Der größte Applaus an diesem Vormittag gebührt ihr, die das gesamte Publikum beeindruckt und begeistert. Mit ihren riesigen Händen gibt es das ein oder andere High Five mit den jüngsten Zuschauenden und am Ende verneigt sie sich aus tiefster Dankbarkeit vor dem Publikum.

Diese marionette géante stellt die beliebte malische Sängerin Babani Koné dar. Koné ist in Mali ein Superstar. Sie wuchs bei ihrer Großmutter auf, einer griotte, die die Geschichte Malis und die vieler malischer Familien mit ihren Preisgesängen und gesungenen Dichtungen weitertrug und davor bewahrte, in Vergessenheit zu geraten. Koné selbst gilt – neben ihrer erfolgreichen musikalischen Karriere – als eine der populärsten und angesehensten Preissängerinnen auf großen Hochzeiten in der Hauptstadt Bamako. Yacouba Magassouba berichtet außerdem, dass seine Compagnie NAMA 26 weitere solcher marionettes géantes (Großfiguren) besitzt.

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