Die Künstlerin Denise S. Puri wurde 1966 in den USA geboren, seit 1972 lebt und arbeitet sie in Berlin. Für zahlreiche Produktionen des Lübecker Kobalt Figurentheaters hat sie die Kostüme sowie Figuren entworfen und gefertigt und ebenso Bühnenbilder erstellt. Diese wichtige Arbeit, wie auch die der Puppenschnitzer, bleibt von den allermeisten Zuschauern unbemerkt. Daher ist es aller höchste Zeit, auch diese Arbeiten zu beleuchten und Denise Puri vorzustellen.
Kolk 17: Liebe Denise, ich freue mich unglaublich, dass du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Wie kam es, dass Du Kostümbildnerin und Bühnenbildnerin geworden bist?
Denise Puri: Ich machte schon als Kind ganz viele Handarbeiten. Mit elf Jahren saß sich das erste Mal an einer Nähmaschine und nähte mir Bekleidung. Es gab in den Geschäften nie das, was ich gerne wollte. Also nähte ich für mich selbst und später auch für Freunde. So kam die Idee auf, Schneiderin zu werden. Ich hatte das Glück, eine Ausbildung als Herrenmaßschneiderin zu bekommen, musste aber feststellen, dass Mode mich tatsächlich nicht interessiert. Also, mich interessiert es, gut angezogen zu sein, aber Mode in dem Sinne interessiert mich nicht.
Ich machte direkt im Anschluss an meine Ausbildung ein Praktikum am Schlosspark Theater in Berlin und übernahm dort ein halbes Jahr später die Ausstattungsleitung. Ich gestaltete Kostüme und Bühnenbilder für Stücke. Zum Figurentheater kam ich etwas später, aber so hatte das angefangen.
Kolk 17: Für das Figurentheater-Stück Linie 1, welches auch in Berlin spielt, hast Du für den Charakter des Rockers „Bambi“ eine ausgediente Lederjacke umgearbeitet. Eine handwerkliche Frage: Worauf kommt es an, wenn ein Kleidungsstück für eine Figur gefertigt wird?
Denise Puri: Ein Kostüm, gleich, ob es für eine Figur oder einen Menschen gedacht ist, unterstützt immer die Rolle des Charakters. Der Zuschauer soll leicht erkennen können, wie der Charakter dieser Figur ist. Das Kostüm hilft auch einzuordnen, wo die Handlung örtlich und zeitlich stattfindet, also ob in Berlin heute oder in Köln im Mittelalter.
Bei den Kostümen für Figuren ist es besonders wichtig, dass sich alle Gelenke der Figuren gut bewegen lassen. Das ist das handwerklich Knifflige.
Ich fertige aber auch die Kostüme für die Figurenspielerinnen und Figurenspieler! Hierbei ist es ebenfalls sehr wichtig, dass diese sich in den Kostümen wohlfühlen und gut bewegen können, wenn sie mit ihren Puppen hantieren.
Das dritte, was mir sehr wichtig ist, ist die Silhouette einer Figur, eines Charakters. Egal ob Mensch oder Puppe. Ist es ein dicker, runder Mensch, hat er einen großen Kopf und einen kleinen Körper, also auch da soll das Kostüm vorteilhaft unterstützen.
Kolk 17: Du bist eine Frau, die Berge nicht nur versetzen, sondern auch bauen kann. Für das Stück “Kapitän Eberhard und die geheimnisvolle Insel” hast Du aus Bettdecken die Bergwelt der Insel gestaltet. Die Verwendung von ausgedienten Kleidungsstücken oder Decken finde ich großartig. Sammelst Du oder bewahrst Du gebrauchte Kleidung auf, weil Du sie irgendwann für ein Stück verwenden kannst? Wie wichtig ist es für Dich, nachhaltig zu sein?
Denise Puri: Die Nachhaltigkeit ist für uns alle total wichtig! Egal, ob es um Bekleidung, Nahrungsmittel oder Möbel geht, die Wegwerfgesellschaft scheint insgesamt ein Auslaufmodell zu sein.
Als ich am Theater anfing, hatte ich einen Kostümfundus angelegt. Mit den verschiedensten Sachen, auch meinen Sachen, die ebenfalls da hineinwanderten. Es stellte sich heraus, dass man die leider doch nicht so oft verwenden konnte.
Allerdings für die Figuren oder das Bühnenbild ist gebrauchte Kleidung schön, weil sie Patina hat. Mitunter musste ich in den Second Hand Shop gehen, weil das T-Shirt, was ich im Fundus hatte, die falsche Farbe hatte. Aber so oft es geht, verwenden wir alte Sachen wieder, wie die Bettdecken. Oder nutzen alte Stoffe, die wir bemalen.
Gerade das Figurentheater Lübeck bemüht sich auch sehr darum, Sachen immer wieder neu zu verwenden. Es hat zum Beispiel Figuren und Bühnenbilder von Figurenspielerkolleginnen und Kollegen aufgekauft, die ich dann restauriere und neu anziehe sowie das Bühnenbild der Produktion unter Umständen umgestalte. Das empfinde ich auch als sehr nachhaltig.
KOLK 17: Für die Stücke Linie 1, Emil Elch sucht einen Freund, Trollalarm im Elchwald, Rungholts Ehre, Troll-Weihnacht, Pirat Eberhard und die geheimnisvolle Insel und Cherrypicking Shakespeare – Perlen für die Königin hast Du die Kostüme, Bühnenbilder und auch Figuren gestaltet. Welche Arbeit hat Dir am meisten Spaß gebracht? Welche war am kniffligsten? Gerade wenn ich das so höre, dass du auch nachhaltig unterwegs sein musst?
Denise Puri: Oder möchte… Genau!
Am allerliebsten gestalte ich Bühnenbilder. Ich male sehr gerne und liebe es, weil es eine so ganz körperliche Arbeit ist. Dann ist der ganze Körper in Aktion. Beim Nähen oder auch beim Figurenbau bin ich so sehr auf den Tisch fokussiert, ich sitze viel, was körperlich für mich wesentlich anstrengender ist.
Kostüme zu gestalten, macht mir auch sehr viel Spaß. Das Nähen geht relativ schnell, weil ich das tatsächlich auch am besten kann.
Figuren bauen ist für mich am kniffligsten. Die Figuren müssen wahnsinnig viel können und der Körper sowie die Proportionen müssen stimmen. Diese Arbeit ist am langwierigsten.
Ich denke an die Figuren des Kinderstücks „Emil Elch sucht einen Freund“: den Elch und die anderen Tiere habe ich aus Textilien gefertigt. Zuerst musste ich ein Schnittmuster entwerfen und eine Innenkonstruktion überlegen. Manche Tiere waren leicht und schnell angefertigt. Aber der Elch selbst, der kostete mich schon ein bisschen Nerven. Er ist aber auch schön geworden.
KOLK 17: Im Jahr 2017 warst Du Kuratorin der Sonderausstellung im TheaterFigurenMuseum Lübeck „Asienreise“. Was hat Dir an dieser Aufgabe gefallen?
Denise Puri: Bei Ausstellungen im Museum gibt es zwei Aspekte, die ich ganz spannend finde:
Der erste ist tatsächlich das eigentliche Kuratieren, also ein Thema finden. Das TheaterFigurenMuseum Lübeck hat unglaublich viele und schöne Objekte. Da musste ich gar nichts ausleihen und konnte bei euch direkt aus dem Vollen schöpfen. Es brachte Spaß, zu gucken, was da ist, und zu überlegen, wie ich das in einen Zusammenhang bringen konnte.
Denise Puri kuratierte 2017 die Sonderausstellung „Asienreise“ im Kolk
Bei der Sonderausstellung „Asienreise“ präsentierten wir unter anderem Objekte aus dem Fundus, die bis dahin noch nie gezeigt wurden. Mit dieser Abschlussausstellung vor dem großen Umbau konnten wir die Leistung des Museumsgründers, der viel gereist und von diesen Reisen viele Objekte mitgebracht hatte, zeigen.
Der zweite Aspekt ist, Objekte, die mal lebendig waren und zum Alltag gehörten oder mit denen sich ein Figurenspieler zum Beispiel sein Geld verdiente, diese werden auf einmal zu etwas ganz Heiligem. Man darf diese Objekte nicht mehr anfassen oder nur mit Handschuhen.
Bei der Ausstellungsgestaltung versuche ich, ihnen das alte Leben wieder einzuhauchen. Ich stelle und baue sie so auf, wie sie ursprünglich genutzt wurden. So werden sie für den Besucher interessant.
KOLK 17: Ich möchte eine Passage Deiner Internetseite www.suchtkunst.de zitieren: ”Kunst ist Teil unseres Lebens, wir leben mit und durch die Kunst. Es ist wie eine Sucht. Andere nehmen Drogen, rauchen oder trinken – wir machen Kunst. Wir denken in Bildern und nicht in Worten. Wenn wir mit Worten ausdrücken könnten, was wir mit unseren Bildern versuchen zu sagen, würden wir schreiben.”. Zu einer Sucht gehört ein Genussmittel. Was genießt Du an Deiner Arbeit als Künstlerin?
Denise Puri: Dieses Zitat bezieht sich auf unsere Arbeit in der freien Kunst, wenn wir eigenständige Projekte und Themen umsetzen. Das ist anders, als für ein Theater oder Museum zu arbeiten. Dort sind die Arbeiten immer einem konkreten Ziel zugeordnet, einem bestimmten Stück oder einer bestimmten Ausstellung. Hier sind die Rahmenbedingungen enger, als wenn ich als freie Künstlerin unterwegs bin und mich frei ausdrücke.
Aber was allen Sachen gemein ist, ist der Prozess. Ich finde es wahnsinnig spannend, herauszubekommen, wie ich Ideen realisieren kann, beziehungsweise auch schon den Schritt vorher, die Idee zu finden und auszusuchen, welche Idee realisiert werden soll.
Die ganze Prozessarbeit finde ich persönlich am aller interessantesten, weshalb ich wahrscheinlich auch Kostüm- und Bühnenbildnerin geworden bin und nicht Schauspielerin am Theater, wo man dann eben jeden Abend dasselbe macht. Ich habe immer einen Anfang, ich habe eine Mitte, ich habe ein Ende und dann ist der Prozess abgeschlossen. Das schätze ich wirklich sehr! Es gibt ein Ergebnis und ich kann wie ein Schmetterling zur nächsten kreativen Blume fliegen. Außerdem lerne ich mit jedem Projekt etwas Neues dazu!
KOLK 17: Eine Sucht geht aber auch mit Stress einher. Was an Deiner Arbeit ist stressig?
Denise Puri: Der Stress ist, manchmal mit dem Arbeiten nicht aufhören zu können. Dann bin ich wirklich in einem „Arbeitsflow“ und könnte endlos arbeiten. Was man gar nicht kann, schon gar nicht wenn man älter wird, weil dann die Hände anfangen weh zu tun.
Stressig ist auch, dass das finanziell manchmal eine kleine Katastrophe ist und ich als freischaffende Künstlerin stets ein unregelmäßiges Einkommen habe. Zudem wäre es wesentlich einfacher, wenn ich das Gefühl hätte, mehr Zeit zu haben für die Dinge, die ich machen möchte. Ich habe jetzt gerade Kunststipendium für ein halbes Jahr gehabt und habe gemerkt, wie entspannt es ist. Es ist nicht so, dass ich dann weniger arbeite, aber es ist alles entspannter, weil ich das Gefühl habe, ich darf auch mal etwas falsch machen. Ich darf ein bisschen mehr experimentieren.
KOLK 17: Wie sehr beeinträchtigt Dich die Corona-Krise?
Denise Puri: Das letzte Jahr war tatsächlich ziemlich anstrengend, weil ganz viel von der offenen Kinder- und Jugendarbeit weggebrochen war, wo ich als Honorarkraft arbeite. Es kamen weniger Aufträge rein. Aber dann bekam ich dieses Kunststipendium und es ergaben sich noch andere Sachen, die ganz gut funktionierten
Im Moment bin ich recht zufrieden, weil ich mehr zu Hause bin. Ich reise weniger, was ich nicht als Beeinträchtigung empfinde, sondern eher als positiv. Ich glaube, insgesamt ist ein bisschen der Druck raus, weil wir ja alle gar nicht wissen, wann die nächsten Aufführungen überhaupt stattfinden können. Das heißt, die Produktionen, an denen ich beteiligt war, waren auch etwas entspannter. In so einem unsicheren Beruf, den ich ja eh schon habe, empfinde ich diese große zusätzliche Unsicherheit schon als sehr, sehr anstrengend. Gleichzeitig gibt es aber auch viel Freiraum für andere Sachen.
Es ist immer eine gute Idee, als erstes ein Handwerk zu lernen
KOLK 17: Du hast auch mit offener Kinder- und Jugendarbeit im Kindertreff Kiosk e.V. am Reuterplatz, Kiosk e.V. c/o Elele-Nachbarschaftsverein, Kinder künstlerisch und kreativ gefördert oder als Kostümbild- Dozentin für das Theaterstadt-Projekt „Entdeckungsreise Planeten“ von Scot Jefferies, Musical erarbeitet von 280 Schülerinnen und Schülern der Gustave-Eiffel-Schule; Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH gewirkt. Welchen Rat gibst Du heute einem jungen Menschen, der Kostümbildner oder Bühnenbildner werden möchte?
Denise Puri: Heute ist es tatsächlich sehr wichtig- wobei es früher auch schon wichtig war! – eine gute, eine richtig gute Ausbildung zu haben. Also, egal, ob das jetzt als Schneider oder als Tischler ist, je nachdem, wo man seinen Fokus drauf wirft. Mit einer handwerklichen Grundausbildung erlernt man eine gewisse Struktur und versteht, was die Leute in den Werkstätten machen. Es ist immer eine gute Idee, als erstes ein Handwerk zu lernen.
Ich denke auch, dass es ganz wichtig ist zu studieren. Das auf jeden Fall auch! Je nachdem, in welchen Bereich man geht, ob man zum Film geht oder zum Theater, ist es immer gut, wenn man gemeinsam mit anderen studiert. Man knüpft Kontakte, die einen ein ganzes Leben lang begleiten können. Diese Art von Freundschaften und Kontakten ist sehr wichtig.
"Man sollte immer seinen künstlerischen Impulsen folgen."
Die Gesellschaft hat sich geändert. Ich bin Autodidaktin. Ich habe zwar die Ausbildung als Herrenmaßschneiderin, aber ich habe nicht studiert. Das ging in den 90er Jahren gut und das wird heute bestimmt auch noch gut gehen. Doch das sind aber eben die Ausnahmen. Ich glaube, wenn man nach einer Ausbildung und einem Hochschulabschluss es schafft, auch später noch immer weiter zu lernen, dann ist das großartig!
Das letzte, was ich ganz wichtig finde, jegliche Form von künstlerischem Ausdruck, den man in sich spürt, also ob das jetzt Zeichnen ist, Nähen oder Schreiben, dem sollte man immer folgen! Sogar wenn es nicht zum Beruf gehört! Blumenarrangements oder zu Hause die Wand streichen, ich glaube man sollte immer diesen künstlerischen kreativen Impulsen folgen, weil man tatsächlich nie weiß, wohin sie einen hinführen im eigenen künstlerischen Ausdruck. Man sollte sich nicht beschränken und nur auf eine Sache fokussieren.
KOLK 17: Zum Schluss: Du hast das Kunststipendium und Dein Projekt erwähnt, magst Du uns von Deiner Arbeit berichten?
Denise Puri: Sehr gerne erzähle ich davon! Es ist eine Herzensangelegenheit, das eigene Projekt zu realisieren. Wir haben 2019 das erste eigene Stück herausgebracht. Das war die Installation „Drop by drop“ ein musikalisches Farbenlichtspiel.
Im Rahmen des Kunststipendiums habe ich gemeinsam mit Klaus Bortoluzzi, meinem Mann und Partner, an einer zweiten Raum- Klang-Installation gearbeitet. Sie heißt „Metamorphosen“. Sie ist in mehrere Teile aufgeteilt und wir haben wir alle Vorbereitungen getroffen, das Projekt zu realisieren.
KOLK 17: Da freuen wir uns, einen Tipp zu bekommen, wenn es so weit ist. Das wäre dann wahrscheinlich bei euch in Berlin, oder?
Denise Puri: Ich kann mir alles vorstellen! Wenn mich das MOMA in New York einlädt, sag ich nicht Nein!… Keine Ahnung. Diese Raum-Klang-Installation könnte in Berlin oder bei euch in der St.Petri-Kirche stattfinden. Es können ungewöhnliche Orte sein. Wir schauen noch, wo. Pandemiebedingt planen wir mit Vorsicht. Aber ich bin vorbereitet, wenn man mich fragt.
Ganz herzlichen Dank für das Interview!